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Ausgewählte Artikel - 2014
Disput - Januar 2014

Bikini

Vor sechzig Jahren testeten die USA die größte Wasserstoffbombe ihrer Geschichte und machten das Bikini-Atoll für Jahrzehnte unbewohnbar

Am 1. März 1954 um 6.45 Uhr Ortszeit explodierte im nordwestlichen Teil des Bikini-Atolls, einer kleinen Inselgruppe in den Weiten des westlichen Pazifik, eine Wasserstoffbombe mit der Codebezeichnung »Castle Bravo«. Die US-amerikanischen Wissenschaftler und Ingenieure, die die Bombe entwickelt und gebaut hatten, hatten mit einer Explosionskraft von etwa sechs Millionen Tonnen herkömmlichen Sprengstoffs gerechnet, also dem Vierhundertfachen der Atombomben, die im August 1945 über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden waren und die mehr als hunderttausend Menschen getötet hatten. Doch tatsächlich erreichte Castle Bravo mit 15 Megatonnen eine Sprengkraft, die dem Tausendfachen der Hiroshima- und der Nagasaki-Bombe entsprach. Der Atompilz, der bei der Explosion von Castle Bravo entstand, wuchs zu einer Höhe von 40 Kilometern. Der Krater, den die Bombe in den Untergrund des Atolls riss, hatte einen Durchmesser von zwei Kilometern.

In den Stunden nach dem Test gingen hochradioaktive Zerfallsprodukte, sogenannter Fallout, über dem Bikini-Atoll und den benachbarten Inseln nieder und sammelten sich dort zu einer tödlichen Staubschicht von zwei Zentimetern Stärke. Mehrere hundert Bewohner der Insel Rongelap wurden verstrahlt, Dutzende erkrankten an der Strahlenkrankheit. Auch die Besatzung des japanischen Fischkutters »Glücklicher Drache V« geriet in den Fallout. Ein Besatzungsmitglied starb sofort, mindestens vier weitere in den darauffolgenden Wochen.

Vier Jahre zuvor hatte der damalige US-Präsident Harry S. Truman angeordnet, eine »Superbombe«, also eine thermonukleare Waffe, zu entwickeln und zur Einsatzreife zu bringen. Damit war eine neue Runde des internationalen Wettrüstens eingeleitet worden, obwohl sich in den USA zahlreiche namhafte Persönlichkeiten gegen den Bau der »Völkermordwaffe« ausgesprochen hatten. J. Robert Oppenheimer, Enrico Fermi, Isidor Isaac Rabi und andere hochkarätige Wissenschaftler hatten festgestellt, dass eine Wasserstoffbombe »keine Begrenzung der Explosivkraft hätte, mit Ausnahme der Beschränkungen, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, daß sie transportabel sein muß.« Und weiter: Die Wasserstoffbombe sei »keine Waffe, die ausschließlich gegen militärische und halbmilitärische Einrichtungen eingesetzt werden kann. Ihr Einsatz würde in noch viel größerem Maße als der Einsatz der Atombombe Ausdruck einer Politik der Massenvernichtung der Zivilbevölkerung sein.«

Doch Truman ließ sich von diesen Warnungen nicht beeindrucken. Unter Leitung des aus Ungarn stammenden Physiker Edward Teller, der bereits zuvor mit einer nur noch als pathologisch zu bezeichnende Besessenheit die Entwicklung und den Bau der Wasserstoffbombe gefordert hatte, wurde das Projekt umgehend in Angriff genommen. Teller erwarb sich den zweifelhaften Ruf, der "Vater der US-amerikanischen Wasserstoffbombe" gewesen zu sein, auch wenn der entscheidende wissenschaftliche Beitrag nicht von ihm, sondern von dem aus Polen stammenden Physiker Stanislaw Ulam kam.

Das Bikini-Atoll war bereits im Sommer 1946 als Testgelände für US-amerikanische Atombombenversuche ausgewählt und erstmals genutzt worden. Die Bikianer, die ursprünglichen Bewohner der Inselgruppe, waren mit dem Hinweis auf einen »baldige Rückkehr« umgesiedelt worden. Doch erst 1958, zwölf Jahre später, fand unter der Bezeichnung »Hardtrack I« die letzte Versuchsserie statt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich bereits eine weltweite Protestbewegung gegen die anhaltenden Atomwaffentests formiert. Am 5. August 1963 wurde in Moskau ein internationales Abkommen unterzeichnet, das weitere Test in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser verbot.

Für die Bikianer kam dieses Abkommen zu spät. Sie waren zunächst auf die Rongerik-Inseln gebracht worden, wo es jedoch kaum Lebensmittel und kein Trinkwasser gab. Nach einer mehrjährigen Odyssee gelangten sie schließlich auf die Kili-Insel, wo sie von externer Versorgung abhängig waren. Ein Versuch in den siebziger Jahren, auf das Bikini-Atoll zurückzukehren, scheiterte an der weiterhin hohen Radioaktivität. Heute leben die Bikianer und ihre Nachkommen verstreut über den gesamten pazifischen Raum.

Letzte Änderung: 7. Januar 2015