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Ausgewählte Artikel - 2013
Disput - Februar 2013

Der Reichstagsbrand

Auch nach 80 Jahren ist die Debatte um die wirklich Schuldigen noch immer nicht abgeschlossen

Der Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 lieferte den deutschen Faschisten den dringend benötigten Vorwand, um vier Wochen nach der Übergabe der Regierungsgewalt an Hitler und wenige Tage vor der Reichstagswahl vom 5. März 1933 ganz Deutschland mit einer Welle der Gewalt und des Terrors zu überziehen und so ihre Macht dauerhaft zu sichern.

Kurz nach 21.00 Uhr war der Holländer Marinus van der Lubbe in das zu diesem Zeitpunkt kaum bewachte Reichstagsgebäude eingedrungen und hatte mit gerade einmal vier Päckchen Kohlenanzünder in mehreren Nebenräumen kleinere Feuer gelegt, die kaum Schaden anrichteten. Kurz darauf ging der Plenarsaal in Flammen auf, van der Lubbe allerdings hatte weder die Zeit noch die Möglichkeit gehabt, auch dieses Feuer zu legen.

Nur wenige Minuten später rückte die überraschend schnell alarmierte Feuerwehr an. Bereits nach drei Stunden war das Feuer gelöscht. Nur einige wenige Teile des großen Gebäudes waren tatsächlich zerstört bzw. ernsthaft beschädigt.

Unmittelbar nach der Feuerwehr tauchte auch Hermann Göring, damals preußischer Ministerpräsident und amtierender preußischer Innenminister, am Ort des Geschehens auf. Und natürlich wusste er sofort, wer »die Täter« waren, wie er diensteifrig seinem »Führer« meldete, der kurz darauf erschien: »Das ist zweifellos das Werk von Kommunisten, Herr Reichskanzler.« Damit war die Richtung der polizeilichen »Ermittlungen« vorgegeben.

Folgerichtig verkündete der »Amtliche Preußische Pressedienst« noch in der Brandnacht: »Diese Brandstiftung ist der bisher ungeheuerlichste Terrorakt des Bolschewismus in Deutschland. [… Der] Brand des Reichstags [sollte] das Fanal zum blutigen Aufruhr und zum Bürgerkrieg sein.«

Nur Stunden später unterzeichnete Reichspräsident von Hindenburg die »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat«, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung, und die »Verordnung des Reichspräsidenten gegen Verrat am Deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe«. Mit diesen beiden Verordnungen, die von der Regierung bereits vor dem Reichstagsbrand in großen Teilen vorbereitet worden waren, wurden die in der Weimarer Verfassung verankerten bürgerlichen Rechte und Freiheiten für die gesamte Dauer der Naziherrschaft außer Kraft gesetzt.

Am 21. September 1933 begann in Leipzig der sogenannte Reichstagsbrandprozess. Angeklagt waren neben van der Lubbe der frühere Vorsitzende der kommunistischen Reichstagsfraktion, Ernst Torgeler, sowie die drei bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Mit ihrer Verurteilung sollte der juristische Nachweis erbracht werden, dass tatsächlich »die Kommunisten« für den Reichstagsbrand verantwortlich. Doch insbesondere dem Auftreten Dimitrows vor dem Reichsgericht war es zu verdanken, dass dieses Vorhaben kläglich scheiterte: Torgeler, Dimitrow und die beiden anderen Bulgaren mussten freigesprochen werden, van der Lubbe allerdings wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Unmittelbar vor Beginn des Leipziger Prozesses war in London eine internationale Untersuchungskommission zum Reichstagsbrand zusammengetreten, die von dem britischen Kronanwalt Denis Nowell Pritt geleitet wurde und der namhafte Juristen aus verschiedenen westlichen Ländern angehörten. Bereits diese frühe Untersuchungskommission präsentierte zahlreiche Indizien, die eine unmittelbare Verantwortung der deutschen Faschisten für den Reichstagsbrand belegten.

Trotzdem geistert seit 1945 die unsägliche These von einer Alleintäterschaft van der Lubbes durch die Welt, die in Deutschland insbesondere vom »Spiegel« bis heute vertreten und kolportiert wird. Seriöse Wissenschaftler haben längst erkannt und akzeptiert, dass der Holländer niemals in der Lage gewesen wäre, den Plenarsaal allein in Brand zu setzen. Auch wenn der letzte Beweis noch immer fehlt und wahrscheinlich auch nie gefunden werden wird - es kann kein wirklicher Zweifel daran bestehen, dass die deutschen Faschisten nicht nur die politischen Nutznießer des Reichstagsbrandes waren, sie waren auch seine Urheber.

Letzte Änderung: 27. Juni 2013