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Ausgewählte Artikel - 2013
Disput - Dezember 2013

Das Urteil

Vor achtzig Jahren endete der Reichstagsbrandprozeß in Leipzig mit einem Fiasko für Hitler und seine Bande

Am 23. Dezember 1933, nach 57 Verhandlungstagen, wurde vor dem Reichsgericht in Leipzig das Urteil im sogenannten Reichstagsbrandprozeß verkündet, der drei Monate zuvor begonnen hatte: »Die Angeklagten Torgler, Dimitrow, Popow und Tanew werden freigesprochen. Der Angeklagte Marinus van der Lubbe wird wegen […] aufrührerischer Brandstiftung […] zum Tode […] verurteilt.«

Ernst Torgler war Vorsitzender der Reichstagsfraktion der KPD gewesen. Er hatte sich unmittelbar nach dem Reichstagsbrand freiwillig der Polizei gestellt, um seine persönliche Unschuld zu beteuern und diese Linie auch während des Prozesses verfolgt. Georgi Dimitrow, Blagoj Popow und Wasil Tanew waren drei führende bulgarische Kommunisten, die seit Jahren in Berlin im politischen Exil lebten. Dimitrow hatte bis Anfang 1933 das Westeuropäische Büro der Kommunistischen Internationale geleitet. Alle drei waren Anfang März 1933 verhaftet worden, weil sie angeblich gemeinsam mit Torgler und van der Lubbe gesehen worden waren.

Der Niederländer van der Lubbe war bereits in der Brandnacht im Reichstagsgebäude festgenommen worden, wo er mit Kohlenanzünder und seiner Kleidung einige kleinere Feuer gelegt hatte, die kaum Schaden anrichteten. Das große Feuer, das den Plenarsaal zerstörte, konnte er nicht allein gelegt haben.

Hitler und seine Gefolgsleute tönten umgehend von einer großen »kommunistischen Verschwörung«. Der Reichstagsbrand sollte angeblich das Fanal für einen »gewaltsamen Umsturz« in Deutschland sein. Auf der Grundlage von Notverordnungen des Reichspräsidenten wurde Deutschland innerhalb weniger Stunden nach dem Reichstagsbrand mit einer Welle des politischen Terrors überzogen.

Dem Reichsgericht in Leipzig fiel die Aufgabe zu, den Beweis für die behauptete »kommunistische Verschwörung« zu liefern. Daß dies nicht gelang, hatte drei wesentliche Gründe.

Bereits Mitte 1933 hatte Willi Münzenberg, der Chef des inzwischen von den Nazis liquidierten »roten Medienkonzerns« der KPD, im Pariser Exil öffentlichkeitswirksam das »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror« vorgelegt. Es lieferte die ersten detaillierten Berichte über die Verbrechen der »nationalsozialistischen« Regierung in Deutschland und stellte explizit die Frage nach den politischen Nutznießern des Reichstagsbrandes. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Buch in 17 Sprachen übersetzt und erreichte weltweit eine Millionenauflage.

Am 20. September 1933, also am Tag vor dem Beginn des Reichstagsbrandprozesses, legte die »Juristische Untersuchungskommission«, wie sie sich selbst nannte, nach mehrtägigen Beratungen in London ihren Bericht vor. Das Gremium, das unter Leitung des britischen Kronanwalts D. N. Pritt stand und dem namhafte Juristen aus ganz Europa angehörten, arbeitete unter maßgeblicher Mitwirkung des »Welthilfskomitees für die Opfer des deutschen Faschismus«. Es hatte zahlreiche Zeugen vernommen und offizielle Dokumente ausgewertet und war zu dem Schluß gekommen, daß Torgler, Dimitrow, Popow und Tanew unschuldig waren und daß van der Lubbe keinesfalls als Alleintäter gehandelt haben konnte.

Entscheidend war jedoch das Auftreten von Georgi Dimitrow, der sich selbst – und seine Partei! - verteidigte und dabei sehr schnell vom Angeklagten zum Ankläger wurde. Zur Legende wurde seine Auseinandersetzung mit Hermann Göring, dem zweiten Mann in der Nazi-Hierarchie, der als preußischer Ministerpräsident in den Zeugenstand gerufen worden war. Durch zielgerichtete, aber stets sachliche Fragen gelang es Dimitrow wiederholt, Göring zu Wutausbrüchen zu provozieren. Seinen politischen Sieg über Göring krönte er mit der Feststellung: »Sie haben wohl Angst vor meinen Fragen, Herr Ministerpräsident?«

Dimitrow erwarb sich in der weltweiten antifaschistischen Bewegung so den Ruf des »Helden von Leipzig«. Das gab ihm in den folgenden Jahren die Autorität, als Spitzenfunktionär der Kommunistischen Internationale für eine Politik der Volksfront vom Kommunisten und Sozialdemokraten einzutreten.

Letzte Änderung: 15. Dezember 2013