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Ausgewählte Artikel - 2009
Neues Deutschland - 20. April 2009

Kinder bis zum Tod im Knast

Immer mehr US-Jugendliche lebenslang in Haft

In den USA werden immer mehr Kinder und Jugendliche zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung verurteilt. Nicht einmal ein Gnadengesuch dürfen sie stellen. Angehörige kämpfen für eine Änderung der Gesetze.

Kürzlich berichtete der US-amerikanische Nachrichtensender CNN über den Fall des inzwischen 23 Jahre alten Quantel Lotts aus dem Bundesstaat Missouri: Vor neun Jahren griff der damals gerade 14-Jährige während einer Prügelei mit seinem drei Jahre älteren Stiefbruder plötzlich nach einem Messer und tötete ihn. Eine furchtbare Tat, doch die Konsequenzen waren nicht weniger furchtbar: Quantel Lotts wurde wegen vorsätzlichen Mordes angeklagt und - obwohl zur Tatzeit noch ein Kind - nach Erwachsenenstrafrecht zu lebenslanger Haft ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung verurteilt. Geschieht kein Wunder, wird er auch die nächsten fünfzig Jahre im Gefängnis verbringen und dort sterben, ohne die Welt je wieder anders als durch Gitterstäbe gesehen zu haben.

An diesem Wunder arbeitet auch seine Stiefmutter, die Mutter des getöteten Jungen. Sie sieht in dem Prozess, vor allem aber in dem Urteil gegen Quantel eine große Ungerechtigkeit. Denn selbst so berüchtigte Massenmörder wie Charles Manson, zur Tatzeit 27 Jahre alt, der Anfang der 70er Jahre wegen siebenfachen Mordes verurteilt wurde, hat zumindest das Recht, Gnadengesuche zu stellen, auch wenn bisher all seine Anträge auf Haftverschonung zurückgewiesen wurden. Doch Quantel Lotts ist selbst dieses elementare Recht verwehrt.

Er ist damit keineswegs allein: Die Equal Justice Initiative, eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation mit Sitz im Bundesstaat Alabama, spricht von mindestens 73 Gefangenen in Staats- und Bundesgefängnissen, in ihrer Mehrzahl Angehörige ethnischer Minderheiten, die lebenslange Haftstrafen ohne Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung für Taten verbüßen, die sie im Alter von 13 oder 14 Jahren begangen haben. In mindestens zwei Fällen waren es nicht einmal Tötungsverbrechen, die zu der Strafe führten: In Kalifornien wurde 2001 ein damals 14-Jähriger wegen Kidnappings verurteilt, bereits 1989 wurde in  Florida ein zur Tatzeit 13-jähriger, geistig behinderter Junge wegen Vergewaltigung unbefristet in Haft genommen.

In 42 der 50 Bundesstaaten der USA können geltendem Recht zufolge Kinder und Jugendliche nach Erwachsenenstrafrecht zu lebenslanger Haft ohne die Chance auf vorzeitige Entlassung verurteilt werden. So überrascht es kaum, dass landesweit die Zahl der Gefangenen mit dieser Strafe, die zur Tatzeit minderjährig, also jünger als 18 Jahre waren, bereits bei etwa 2000 liegt, Tendenz steigend.

Nicht wenige Bundesstaaten haben das 2005 vom Obersten Gerichtshof der USA verfügte Verbot der Todesstrafe gegen minderjährige Straftäter zum Anlass genommen, um gnadenlos unbefristete Haftstrafen zu verhängen, gedacht als vermeintlicher Schutz der Gesellschaft vor nicht resozialisierbaren Schwerstverbrechern.

Die Umstände, unter denen Kinder und Jugendliche zu Verbrechern wurden, werden bei dieser harten Strafzumessung nicht berücksichtigt. Die Anhänger rigoroser Strafen machen es sich sehr einfach, indem sie Ängste damit schüren, dass Verbrechen von Minderjährigen ansonsten straffrei blieben. Auch ist das gesellschaftliche Ziel nicht erkennbar, die Ursachen der in vielen Teilen der USA tatsächlich gefährlich zunehmenden Kinder- und Jugendkriminalität anzugehen. Das widerspricht offenbar dem weit verbreiteten biblischen Rachegedanken - Auge um Auge, Zahn um Zahn. Quantel Lotts wird also weiter auf ein Wunder hoffen müssen.

Letzte Änderung: 7. März 2019