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Ausgewählte Artikel - 2006 und früher
Disput - April 2005

Die Bombe, die es nie gab, und eine Chronik

Zwei sehr verschiedenartige Bücher zum Zweiten Weltkrieg, gelesen und betrachtet von Ronald Friedmann

Etwa zweihunderttausend Menschen waren auf dem Höhepunkt des Manhattan-Projekts am Bau der ersten US-amerikanischen Atombombe beteiligt, unter ihnen Hunderte Spitzenwissenschaftler aus aller Welt. Glaubt man dem Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch und seinem in der Deutschen Verlags-Anstalt München erschienenen Buch "Hitlers Bombe", so waren es in Nazideutschland nur einige wenige Dutzend Wissenschaftler und Techniker, die die gleiche Aufgabe erfüllten, und das in deutlich kürzerer Zeit: Denn bereits im Oktober 1944 und im März 1945, so die zentrale These in Karlschs Buch, soll es in Deutschland erfolgreiche Tests von insgesamt drei kleineren Atombomben gegeben haben - auf der Insel Rügen und auf einem Truppenübungsplatz in der Nähe des thüringischen Ohrdruf. Allerdings bleibt Karlsch jeden wirklichen Beweis schuldig, was er liefert, sind Indizien, doch auch diese sind nicht schlüssig. Er greift auf jahrzehntealte so genannte Augenzeugenberichte zurück, die sich schon bei einer oberflächlichen Prüfung als unzuverlässig erweisen, denn es sind eben keine Augenzeugenberichte, sondern Berichte vom Hörensagen. Auch das Fehlen von einschlägigen Akten ist für Karlsch ein Beweis für die Richtigkeit seiner These: Wegen der strikten Geheimhaltung des Projekts seien eben keine Akten angelegt oder diese kurz vor Kriegsende 1945 vernichtet worden. Die physikalischen Messungen, die er sechzig Jahre nach den unterstellten Ereignissen vornehmen ließ, waren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Buches noch nicht abschließend ausgewertet ...

Völlig unsicher ist sich der Autor bei der Schilderung der Bomben, die da getestet worden sein sollen: Dass es keine eigentlichen Atombomben gewesen sein können, hat er wohl verstanden, denn in Deutschland gab es weder hochangereichertes Uran noch Plutonium, wie es beispielsweise für die Hiroshima- bzw. die Nagasaki-Bombe verwendet wurde. Irgendwie deutet er an, dass es sich um eine Fusionsbombe, also eine Wasserstoffbombe, gehandelt haben könnte, die durch eine Implosion von konventionellem Sprengstoff gezündet worden sei. Dass in den USA 1950 der Versuch aufgegeben wurde, eine Wasserstoffbombe mittels einer regulären Atombombe zu zünden, weil deren Sprengkraft dafür nicht ausreichte, ignoriert er. Dass die erste erfolgreich gezündete US-amerikanische Wasserstoffbombe 1954 eine stationäre Konstruktion von 65 Tonnen Masse - in der Größe eines Einfamilienhauses - war, übergeht er, weil seine "Augenzeugen" von einem viel kleineren Versuchsobjekt berichteten ...

Eigentlich wäre das Buch keiner Erwähnung wert, wenn es nicht doch einige wichtige Aussagen enthalten würde, die allerdings vor dem Hintergrund der unsäglichen These von "Hitlers Bombe" kaum zur Kenntnis genommen werden. Karlsch räumt mit dem Mythos auf, die deutschen Physiker im Dritten Reich hätten die Entwicklung der Atombombe bewusst und vorsätzlich verzögert, um Hitler diese teuflische Waffe nicht in die Hand zu geben. Das Gegenteil war der Fall: Es gab zahlreiche und ernsthafte Bemühungen zum Bau einer Atombombe, die allerdings alle - anders als es das Buch unterstellt - wegen fehlender wissenschaftlicher und materieller Voraussetzungen zum Scheitern verurteilt waren.

Rainer Karlsch, Hitlers Bombe, Deutsche Verlags-Anstalt. München 2005, 416 Seiten, 24,90 Euro


Wer heute in Berlin am Brandenburger Tor steht und in Richtung des Sowjetischen Ehrenmals im Tiergarten blickt, kann sich kaum vorstellen, dass hier im Dezember 1945 buchstäblich kein einziger Baum mehr wuchs. Doch ein Foto aus jenen Tagen liefert den Beweis: Es zeigt einen nicht mehr ganz jungen Mann, der mit einer Axt einen Wurzelstubben zerkleinert, um angesichts des beginnenden Winters ein wenig Brennholz zu besorgen. Im Hintergrund sieht man das Sowjetische Ehrenmal, erst wenige Tage zuvor eingeweiht, und die Ruine der Krolloper.

Dieses und zahlreiche weitere Fotos gehören zu einer "Chronik in Bildern", wie das in der Nicolaischen Verlagsbuchhandlung Berlin erschienene Büchlein "Berlin 1945" im Untertitel heißt. Die Autorin Antonia Meiners hat sich jedoch nicht darauf beschränkt, bekannte und vor allem weniger bekannte Fotos zusammenzustellen und mit Daten aus jenem Jahr 1945 zu verbinden, das nicht nur für Berlin eine Zeitenwende darstellte. Sie lässt immer wieder auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort kommen, zitiert aus Tagebüchern und gibt Auszüge aus den letzten Befehlen der Hitlerregierung und den ersten Befehlen der Alliierten wieder, die Deutschland und Berlin befreiten.

Das Buch hebt sich wohltuend von jenen zahllosen aktuellen Publikationen ab, die derzeit das offizielle Bild von den Deutschen als den eigentlichen Opfern des Jahres 1945 zeichnen: Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, dass Berlin die Stadt war, in der der Krieg seinen Ausgang genommen hatte, und dass nur deshalb der Krieg 1945 mit allen seinen Schrecken nach Berlin zurückkehrte. Dabei ist es bemerkenswert, dass die Autorin auf vordergründigen Antisowjetismus und Antikommunismus verzichtet. Zwar berichtet auch Antonia Meiners ausführlich über Massenvergewaltigungen, sie erwähnt aber auch die drakonischen Maßnahmen, die der sowjetische Stadtkommandant Nikolai Bersarin sehr schnell zum Schutz der Bevölkerung ergriff. Gelegentlich spricht die Autorin von "Besatzern", meint dann aber auch die US-amerikanischen und britischen Truppen in Berlin. Sie würdigt die "Gruppe Ulbricht", die unmittelbar nach Kriegsende nach Berlin kam und sich sofort um die Wiederherstellung des öffentlichen Lebens in der sterbenden Stadt bemühte. Dass sich diese Bemühungen nicht auf den späteren sowjetischen Sektor beschränkten, interpretiert sie allerdings sofort als Ausdruck Moskauer Machtbestrebens. ...

Die Autorin hatte für ihr Buch offensichtlich kein klares Konzept: Es ist kein wirkliches Berlin-Buch. Es ist nicht wirklich ein Buch über das Kriegsende. Es ist nicht wirklich ein Buch über den Neuanfang nach dem 8. Mai 1945. Es ist von allem etwas, aber nicht mehr. Lesens- und vor allem ansehenswert ist es dennoch.

Antonia Meiners, Berlin 1945. Eine Chronik in Bildern, Nicolaische Verlagsbuchhandlung. Berlin 2005, 128 Seiten, 19,90 Euro

Letzte Änderung: 26. Januar 2018