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Vorträge
Vortrag - 7. Januar 2019

Zur Vorgeschichte und Geschichte des Gründungsparteitages der KPD, 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919

Vortrag bei der Veranstaltung »100 Jahre KPD« im Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses am 7. Januar 2019

Meine Damen und Herren, liebe Genossinnen und Genossen, Anfang 1927 schrieb Ernst Meyer, einer der Mitbegründer der KPD und bis zu seinem viel zu frühen Tod im Februar 1930 einer der engagiertesten Kämpfer gegen die fortschreitende Stalinisierung seiner Partei, in einem Artikel für die »Internationale«, die Zeitung der KPD für »Praxis und Theorie des Marxismus«, wie es im Untertitel hieß:

»Die Kommunistische Partei Deutschlands hatte schon eine mehr als vierjährige Geschichte hinter sich, als sie in den letzten Dezembertagen 1918 ihren Gründungsparteitag abhielt. Die Geburtsstunde der KPD ist eigentlich die erste Sitzung der linken Fraktion innerhalb der SPD um Rosa Luxemburg im August 1914. Aber diese vier Jahre Tätigkeit gegen SPD und Militärgewalt im Feuer des Weltkrieges waren nur möglich, weil bereits vor dem Kriege die Basis für eine revolutionäre Gruppe innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung geschaffen worden war.«[1]

Wichtiger noch als diese Feststellung Ernst Meyers ist die Tatsache, dass die Linken in der SPD – bzw. ab April 1917 der USPD – ursprünglich nicht die Absicht hatten, eine eigene Partei zu gründen.

Ihr erklärtes Ziel war vielmehr das »Zurückerobern der Partei von unten«, wie es die Spartakusgruppe noch auf ihrer (illegalen) Reichskonferenz im Oktober 1918 formulierte.

An diesem Ziel wurde auch festgehalten, als sich die Spartakusgruppe am 10. November 1918, nur Stunden nach der Ausrufung der Republik durch Phillip Scheidemann und der »freien sozialistischen Republik« durch Karl Liebknecht, als Spartakusbund konstituierte.

Der Spartakusbund verblieb – man würde heute sagen – als »Plattform« in der USPD, deren tatsächliche »Revolutionierung« man auch nach dem Eintritt von Hugo Haase und Co. in den »Rat der Volksbeauftragten« unter Friedrich Ebert noch immer anstrebte und für möglich hielt.

Doch die wenigen Gemeinsamkeiten der Vorkriegszeit – so die Forderung nach gleichem Wahlrecht, dem Achtstundentag, der Anerkennung der Gewerkschaften als Tarifpartner – hatten sich im Ergebnis der Novemberrevolution endgültig erschöpft. Die Trennung war daher wohl unvermeidlich.

In dieser Frage werden in der aktuellen Forschung allerdings, dieser kurze Exkurs sei mir gestattet, unterschiedliche Akzente gesetzt. Ottokar Luban beispielsweise ist der Ansicht, dass die Gründung der KPD zu früh erfolgte, dass eine Gründung nach dem sogenannten Revolutionsparteitag der USPD im März 1919 größere Chancen für die Schaffung und Entwicklung einer sozialistischen, nicht bolschewistischen Massenpartei eröffnet hätte.[2]

Stefan Bollinger wiederum, um ein anderes aktuelles Beispiel zu nennen, hebt hervor, dass die Gründer der KPD kein Problem hatten, sich von der SPD abzugrenzen, dass es für sie aber »schwieriger war […], den Bruch mit der USPD zu begründen, der […] ebenfalls als überfällig angesehen wurde.«[3]

Doch zurück zum eigentlichen Thema: Zwei wichtige Ereignisse Mitte Dezember 1918 beförderten aus meiner Sicht den grundsätzlichen Meinungsumschwung innerhalb des Spartakusbundes, der dann zur Parteigründung zum Jahreswechsel 1918/1919 führte.

Am 15. Dezember 1918 scheiterte Rosa Luxemburg deutlich mit einem sehr umfassenden Antrag an die Generalversammlung der Berliner USPD.

Für ihre Forderung nach dem Ausscheiden der Partei aus dem »Rat der Volksbeauftragten«, nach Ablehnung einer verfassunggebenden Nationalversammlung und der Übertragung der gesamten politischen Macht an die Arbeiter- und Soldatenräte erhielt sie weniger als ein Drittel der Delegiertenstimmen.

Und: Der von den Abgesandten der SPD dominierte erste Reichsrätekongress, der vom 16. bis 21. Dezember 1918 in Berlin tagte, bestätigte – mit den Stimmen der Delegierten der USPD – die Einberufung der Nationalversammlung und entzog damit den Räten de facto die Legitimation, weiterhin als Instrumente der Revolution zu wirken.

Bemerkenswert ist, dass weder Rosa Luxemburg noch Karl Liebknecht ein Mandat für den Reichsrätekongress erhalten hatten und dass ihnen auch kein Rederecht eingeräumt worden war.

Am 22. Dezember 1918 beschloss der Spartakusbund daher die Einberufung einer Reichskonferenz nach Berlin, auf der es um die Krise der USPD, das Programm des Spartakusbundes und das Verhältnis zu einer künftigen Nationalversammlung gehen sollte.

Bei dieser Vorkonferenz am 29. Dezember 1918 erlitt Rosa Luxemburg eine folgenreiche Niederlage: Sie hatte vorgeschlagen, die neue Partei – in Unterscheidung zur Partei der Bolschewiki in Russland – nicht »Kommunistische«, sondern »Sozialistische Partei Deutschlands« zu nennen.

Durch diese Namenswahl wollte sie deutlich machen, dass die neue Organisation ein anderes Parteiverständnis hatte, dass sie – anders als die von Lenin geführte Kaderpartei – eine Partei der Massen sein sollte. Die Mehrheit allerdings sprach sich für den Antrag Fritz Heckerts aus, der den Namen »Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund)« vorgeschlagen hatte.

Der eigentliche Gründungsparteitag der KPD begann in den Vormittagsstunden des 30. Dezember 1918.

Anwesend waren 127 Delegierte aus 56 Orten, unter ihnen 29 Abgesandte der Internationalen Kommunisten Deutschlands.

Auf ihrer Reichskonferenz am 24. Dezember 1918 hatten die Internationalen Kommunisten ihre zunächst ablehnende Position zur Bildung einer gemeinsamen Partei mit dem Spartakusbund grundsätzlich revidiert und nunmehr beschlossen: »Die Einigung der beiden Organisationen wird kategorisch gefordert durch die Gesamtlage der deutschen Revolution.«[4]

Wilhelm Pieck und Jacob Walcher wurden zu Vorsitzenden des Parteitags gewählt.

Das erste Referat hielt Karl Liebknecht, der über »Die Krisis in der USP[D]« sprach.

»Wenn wir heute auseinandergehen«, so stellte er fest, »muß eine neue Partei gegründet sein, eine Partei, die im Gegensatz zu den scheinsozialistischen Parteien steht. […], im Gegensatz zu den Parteien, die das Wort Sozialismus mißbrauchen, um die Massen zu verwirren und den herrschenden Klassen in die Hände zu arbeiten.«[5]

Weitere Referenten waren Paul Levi, Hugo Eberlein, Paul Lange und Hermann Duncker.

Rosa Luxemburg hatte bereits am 14. Dezember 1918 in der »Roten Fahne« ihren programmatischen Text »Was will der Spartakusbund?« veröffentlicht.

In der Nachmittagssitzung des zweiten Verhandlungstages, also am 31. Dezember 1918, begründete sie die Kernaussagen des Programmentwurfs, der nach kurzer Diskussion mit einigen geringfügigen Änderungen als Parteiprogramm beschlossen wurde.

Die heftigsten Auseinandersetzungen auf dem Parteitag gab es in der Frage der Nationalversammlung, deren Wahl für den 19. Januar 1919 angesetzt war. In seinem Referat zu diesem Thema hatte Paul Levi wesentliche Gedanken von Rosa Luxemburg aufgegriffen, die am 23. Dezember 1918 in der »Roten Fahne« festgestellt hatte: Wir werden »die Wahlen zur Nationalversammlung zum Kampfe gegen die Nationalversammlung verwerten.«[6]

Immer wieder von lautstarken Zwischenrufen unterbrochen legte Levi dar: »Die Nationalversammlung ist das Panier der Gegenrevolution. Die Nationalversammlung ist gedacht als die Burg, die die Gegenrevolution sich aufbauen will. [...] Wir schlagen Ihnen vor, in diese Wahlen einzutreten und sie durchzukämpfen mit aller Erbitterung und aller Energie und aller Kampfesfreudigkeit.«[7]

Doch letztlich setzte sich – gegen die Erwartungen und Hoffnungen von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht u.a. – eine radikale Mehrheit durch, die die Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung grundsätzlich ablehnte und ausschließlich auf außerparlamentarische Formen des Kampfes orientierte.

Doch auch diese weitere Niederlage konnte Rosa Luxemburg in ihrer Überzeugung nicht erschüttern, »dass heute der beste Teil des deutschen Proletariats unter unserer Fahne, unter der Sturmfahne der Revolution marschiert und wir auch drüben, wo die Konterrevolution noch zu herrschen scheint, unsere Anhänger und künftigen Mitkämpfer besitzen«.[8]

Herzlichen Dank.

Anmerkungen:

[1] Ernst Meyer, Zur Vorgeschichte der KPD, in: Die Internationale, 10. Jahrgang, Heft 4 vom 15. Februar 1927, S. 102-107, hier: S. 102.

[2] Vgl. dazu u.a.: Ottokar Luban, The Role of the Spartacist Group after 9 November 1918 and the Formation of the KPD, in: Weimar Communism as Mass Movement 1918-1933, edited by Ralf Hoffrogge and Norman LaPorte, London 2017, pp. 45-65.

[3] Stefan Bollinger, November '18. Als die Revolution nach Deutschland kam, Berlin 2018, S. 169.

[4] So zitiert in: Illustrierte Geschichte der Novemberrevolution in Deutschland, Berlin (DDR) 1968, S. 286.

[5] Karl Liebknecht, Die Krisis in der USP, in: Die Gründung der KPD. Protokoll und Materialien des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands 1918/1919, Berlin 1993, S. 52-63, hier: S. 62.

[6] Rosa Luxemburg, Die Wahlen zur Nationalversammlung, in: Die Rote Fahne, Berlin, 23. Dezember 1918.

[7] Paul Levi, Die Nationalversammlung, in: Die Gründung der KPD, a.a.O., S. 88-96, hier: S. 89 f.

[8] Rosa Luxemburg, Unser Programm, in: ebenda, S. 171-201, hier: S. 180.

Letzte Änderung: 24. Dezember 2020