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Ausgewählte Artikel - 2021
Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung – März 2021

Märzkämpfe 1921

Der gescheiterte Aufstand im mitteldeutschen Raum vor einhundert Jahren war eine einschneidende Zäsur in der Geschichte der Kommunistischen Partei Deutschlands

Ende Februar 1921 war der KPD-Vorsitzende Paul Levi, gemeinsam mit Clara Zetkin und anderen wichtigen Funktionären, wegen grundlegender Differenzen mit der Kommunistischen Internationale in Moskau aus der Führung der Partei ausgeschieden. Vordergründig ging es um die von der Spitze der Komintern geforderte und durchgesetzte Abspaltung des linken Flügels der Sozialistischen Partei Italiens und seiner Konstituierung als Kommunistischer Partei Italiens. Paul Levi, Clara Zetkin und ihre Mitstreiter vertraten die Auffassung, dass ein Verbleib der Linken in der Sozialistischen Partei notwendig und möglich gewesen wäre, um die Partei in ihrer Gesamtheit für die Kommunistische Internationale zu gewinnen.

Doch tatsächlich ging es bei diesen Auseinandersetzungen um mehr als das Schicksal der kommunistischen Bewegung in Italien. Wenige Monate nach dem Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale und dem Beschluss über die von W.I. Lenin vorgelegten berühmt-berüchtigten »21 Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale« standen die Mitgliedsparteien vor der Notwendigkeit, eine Entscheidung über ihr politisch-organisatorisches Selbstverständnis zu fällen: Sollten sich die »Sektionen« der Kommunistischen Internationale zu bolschewistisch-avantgardistischen Kaderparteien nach dem Beispiel der russischem Bolschewiki oder zu sozialistisch-demokratischen Massenparteien mit eigenem Charakter entwickeln?

Während für die übergroße Mehrzahl der Kommunistischen Parteien in aller Welt diese Frage schon aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl und ihres weitgehend fehlenden gesellschaftlichen Einflusses eher theoretischen Charakter hatte, war sie für die KPD von unmittelbarer Relevanz. Denn im Dezember 1920 war die KPD durch den Zusammenschluss mit dem linken Flügel der USPD zur Massenpartei geworden, und für einen historisch kurzen Augenblick bestand für sie tatsächlich die Möglichkeit, einen eigenen, nicht mechanisch am russischen Vorbild orientierten Weg einzuschlagen.

Ein wichtiges Signal in dieser Richtung war der »Offene Brief« vom 8. Januar 1921 gewesen, mit dem sich die Führung der Vereinigten KPD, wie sich die Partei vorübergehend nannte, an die Führungen von SPD, (Rest-) USPD und KAPD[1] sowie die Spitzen der verschiedenen Gewerkschaftsverbände wandte, um gemeinsame Aktionen zur Erreichung von Tageszielen im Interesse der Arbeiter und der Arbeitslosen zu fordern. Doch hatte diese an den Realitäten orientierte Politik nur wenige Wochen Bestand.

Nach dem Ausscheiden von Paul Levi hatte Heinrich Brandler, gemeinsam mit Walter Stoecker, kurzfristig die Führung der Partei übernommen. Brandler war entschlossen, gegenüber der Kommunistischen Internationale die unbedingte Handlungsfähigkeit der KPD unter Beweis stellen. Innerhalb weniger Wochen wurde daher – unter maßgeblicher Mitwirkung von entsprechend bevollmächtigten Emissären der Komintern, unter ihnen Béla Kun, August Kleine und József Pogány, die sich seit Anfang März 1921 in Deutschland aufhielten – die sogenannte Offensivtheorie zur Grundlage der Politik der KPD. Zwei Jahre nach der verheerenden Niederlage beim sogenannten Spartakusaufstand im Januar 1919 in Berlin, der allerdings nicht von der KPD initiiert worden war, sollte nun erneut ein Versuch unternommen werden, in Deutschland eine Revolution in Gang zu setzen.

Die Aktivitäten der KPD konzentrierten sich vor allem auf den mitteldeutschen Raum, wo die Partei zu dieser Zeit – als unmittelbares Ergebnis des Zusammenschlusses mit dem linken Flügel der USPD – hinsichtlich ihrer Mitgliederzahlen und ihrer Wählerstimmen überdurchschnittlich stark war. Bei den preußischen Landtagswahlen am 20. Februar 1921 hatte sie im Wahlkreis Halle-Merseburg, dem Kerngebiet des mitteldeutschen Raumes, fast 30 Prozent der Stimmen erhalten und war damit wählerstärkste Partei geworden. Bei den gleichzeitig durchgeführten Wahlen zum Provinziallandtag der preußischen Provinz Sachsen war die KPD mit 19,3 Prozent der Stimmen drittstärkste Partei geworden.

Doch auch und gerade in der außerparlamentarischen Bewegung besaß die KPD im mitteldeutschen Raum feste und einflussreiche Positionen. Das Gebiet war seit der Niederschlagung des Kapp-Putsches im Frühjahr 1920 nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Arbeiter im mitteldeutschen Raum, die über eine lange Tradition erfolgreicher sozialer Kämpfe verfügten, setzten sich nachdrücklich gegen alle Versuche der örtlichen Großunternehmer, insbesondere in der Kohle- und der chemischen Industrie, zur Wehr, die Löhne zu kürzen, die Arbeitszeit zu verlängern und verschiedene soziale Errungenschaften der Vorkriegszeit zu beseitigen. Immer wieder kam es zu Streiks und spontanen Arbeitsniederlegungen. Die Tatsache, dass viele Arbeiter seit den Tagen des Kampfes gegen den Kapp-Putsch im März 1920 bewaffnet und nicht bereit waren, diese Waffen abzuliefern, war ein weiterer Faktor, der zum Entstehen einer angespannten, ja explosiven Lage im mitteldeutschen Raum beitrug.

Dieser Entwicklung wollten die preußischen Behörden, unterstützt durch die Reichsregierung, mit allen Mitteln entgegenwirken. Spätestens seit Ende 1920 wurde deshalb ein massiver Einsatz der paramilitärischen Schutzpolizei im mitteldeutschen Raum vorbereitet, um – auch und vor allem im Interesse der einheimischen Großunternehmen – die Staatsmacht wieder uneingeschränkt herzustellen. Dazu sollten die »Rädelsführer« der »Unruhen« verhaftet und die Arbeiter vollständig entwaffnet werden. Energischer Widerstand wurde nicht nur erwartet, sondern erhofft, um so einen glaubhaften Vorwand für ein gewaltsames Vorgehen zu haben.

Die Pläne der Regierungsbehörden, die keineswegs geheim blieben, kamen dem abenteuerlichen Kurs der neuen Führung der KPD und ihrer Moskauer Berater außerordentlich entgegen. Der unvermeidliche spontane Abwehrkampf der Arbeiter gegen die paramilitärische Besetzung des mitteldeutschen Raumes sollte innerhalb kürzester Zeit, unterstützt durch einen Generalstreik in ganz Deutschland, zu einem bewaffneten Aufstand mit dem Ziel weitergeführt werden, die Reichsregierung zu stürzen und die politische Macht im gesamten Reich zu übernehmen, zumindest aber die bestehende Ordnung in ihren Grundfesten zu erschüttern.

Am 17. März 1921 tagte daher im Berliner Reichstagsgebäude der Zentralausschuss der KPD. In der mehrstündigen Debatte fielen immer wieder markige Worte. August Kleine zum Beispiel erklärte, »die Zeit sei reif zum Losschlagen.« An anderer Stelle hieß es: »Man muss das Geschick der Revolution zwingen.« Dann weiter: »Die Partei muss wagen, die Offensive zu übernehmen.« Und schließlich: »Außer den Kommunisten werden auch noch zwei oder drei Millionen nichtkommunistische Arbeiter mit uns kämpfen.«[2] Zum Abschluss der Tagung des Zentralausschusses wurde ein Beschluss gefasst, in dem festgestellt wurde: »Die Arbeiterschaft wird aufgefordert, den aktiven Kampf aufzunehmen mit folgenden Zielen: 1. Sturz der Regierung, die sich mit dem Ententeimperialismus zur Unterjochung und Aushungerung der Arbeiterklasse verständigen wird, die die Kriegskosten auf die Arbeiter abwälzt und die das Bündnis mit Sowjetrußland ablehnt. 2. Schutz- und Trutzbündnis mit Sowjetrußland. 3. Entwaffnung der Konterrevolution und Bewaffnung der Arbeiter. 4. Sicherung des Lebens und der Kampfkraft der Arbeiterschaft und Abwehr der Versuche der Bourgeoisie, die Kriegskosten auf die Arbeiter abzuwälzen [...].«[3]

Die unmittelbaren Vorbereitungen für die »Märzaktion« im mitteldeutschen Raum hatten allerdings bereits in den Tagen zuvor begonnen. Beteiligt daran waren neben den genannten »politischen« Beratern der Komintern weitere einflussreiche Abgesandte der Moskauer Führung, die zwar vielseitige, vor allem auch militärische Erfahrungen aus der russischen Revolution mitgebracht hatten, die aber weder bereit noch in der Lage waren, diese Erfahrungen den konkreten Bedingungen Deutschlands anzupassen. Ihr einziges Ziel war es, um jeden Preis in Deutschland eine Revolution auszulösen, um so für die Revolution in Russland, die sich – nicht zuletzt durch den Aufstand der Kronstädter Matrosen – in einer tiefen Krise befand, Entlastung zu schaffen. Bereits am 15. März 1921 hatte Hermann Emil Kuenzer, der Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung, das so formuliert: »Die Moskauer Regierung bedarf unbedingt einer großen Aktion außerhalb Rußlands, um sich weiter an der Macht zu halten.«[4] Selbstverständlich wurde diese Sichtweise auf die sich anbahnenden Ereignisse von allen regierungsnahen Zeitungen aufgegriffen und zum großen Thema gemacht. Der sozialdemokratische »Vorwärts« behauptete am 19. März 1921 sogar: »Moskau braucht Leichen«.[5]

Ursprünglich hatte die Führung der KPD geplant, den Aufstand nach den Osterfeiertagen, also nach dem 27. bzw. 28. März 1921, auszulösen. Doch in der in ganz Deutschland extrem angespannten Lage war keine der beteiligten Seiten imstande, die Entwicklungen unter Kontrolle zu halten. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen begannen daher bereits am 23. März 1921 – in den frühen Morgenstunden hatte es nahe der Stadt Eisleben ein erstes Scharmützel zwischen bewaffneten Arbeitern und einer Streife der Sicherheitspolizei mit mehreren Toten auf beiden Seiten gegeben.

Schon am Tag zuvor, am 22. März 1921, war Max Hoelz im mitteldeutschen Raum eingetroffen, einer der wichtigsten Akteure während der Märzkämpfe. Er hatte sofort damit begonnen, bewaffnete Gruppen aus Arbeitern und Arbeitslosen zu bilden, die durch Brandstiftungen, Plünderungen und Sprengstoffattentate, unter anderem gegen Bahnstrecken und öffentliche Gebäude, die »Revolution« vorantreiben sollten. Insbesondere diese Handlungen, die natürlich von der bürgerlichen und sonstigen regierungsnahen Presse zum zentralen Thema gemacht wurden, trugen wesentlich dazu bei, dass der Kampf im mitteldeutschen Raum im übrigen Reich kaum auf Sympathien stieß. Mehr noch, obwohl Hoelz zu dieser Zeit der KAPD angehörte, wurden seine Taten und die seiner Mitkämpfer in der öffentlichen Wahrnehmung der KPD und ihrer Führung zugeschrieben. Am 1. April 1921 wurde die letzte Gruppe von Aufständischen um Max Hoelz bei Beesenstedt zerschlagen, ihm selbst gelang zunächst die Flucht.[6]

Doch zunächst stand Hamburg im Mittelpunkt der Ereignisse: Blutige Zusammenstöße zwischen der Polizei und streikenden Werftarbeitern, die von arbeitslosen Demonstranten unterstützt wurden, forderten etwa dreißig Tote. Am Tag zuvor hatte die kommunistische »Hamburger Volkszeitung« aufgerufen: »Heraus zum Kampf, heraus auf die Straße! Keine leeren Demonstrationen mehr, nur Taten helfen uns noch, nur durch Taten können wir unseren kämpfenden Brüdern in Mitteldeutschland helfen. Nur durch Taten verstärken wir den Sturm, der Deutschland sieghaft zu durchbrausen beginnt.«[7]

Am 24. März 1921 verhängte der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert auf Verlangen des ebenfalls sozialdemokratischen preußischen Oberregierungspräsidenten Otto Hörsing über die gesamte preußische Provinz Sachsen den Ausnahmezustand. Die Führung der KPD antwortete darauf mit einem Aufruf zu einem deutschlandweiten Generalstreik, der jedoch kaum auf Resonanz stieß. Selbst ein örtlicher Streikaufruf der Bezirksleitung Halle-Merseburg der KPD vom 21. März 1921 war nahezu ungehört verhallt, erst im Verlaufe des 22. März 1921 war es im mitteldeutschen Raum, vor allem im Gebiet um Mansfeld, zu nennenswerten Streikaktionen gekommen.

Bereits am 29. März 1921 waren die bewaffneten Auseinandersetzungen weitgehend beendet. Angesichts der deutlichen Überlegenheit der Polizeitruppen an Menschen und Material gelang es den Aufständischen zu keiner Zeit und an keinem Ort, in irgendeiner Form in die Offensive zu gelangen. Zu dem beteiligten sich in ganz Deutschland – statt der erhofften und erwarteten zwei bis drei Millionen – nur etwa 200.000 Arbeiter und Arbeitslose an Streiks und anderen Solidaritätsaktionen. Die in Berlin erscheinende bürgerlich-liberale »Vossische Zeitung« kommentierte die Vorgänge im mitteldeutschen Raum so: »Die Entwicklung der letzten Tage hat gezeigt, daß es sich bei den kommunistischen Aufständen immer nur um ein paar hundert Leute handelt, die in der Art mexikanischer Räuberbanden vorgehen. [...] Es ist eine kleine Gruppe von Fanatikern, verstärkt durch jugendliche Elemente, die im Krieg wie Unkraut aufwuchsen, und ausgesprochenes Verbrechergesindel. [...] Das sind die ›Truppen‹, die Moskau ins Feuer schickt und zu deren Unterstützung die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands, brüderlich vereint mit der Kommunistischen Arbeiterpartei und den Syndikalisten, die gesamte Arbeiterschaft auffordert, die Betriebe zu verlassen. [...] Die Arbeiterschaft, und zwar ohne Unterschied der Partei, lehnt die Gefolgschaft für das wahnsinnige Unternehmen ab und folgt den Aufforderungen der Gewerkschaften, sich von allen Veranstaltungen der Kommunisten fernzuhalten. Die Hoffnung, durch die glimmenden Funken ganz Deutschland aufflammen zu lassen, erfüllt sich nicht, weil und so lange die breiten Massen des Volkes das Gefühl haben, daß ihnen ein fremder Wille aufgezwungen werden soll und daß es nicht ihre eigene Sache ist, für die sie Gut und Blut opfern sollen.«[8]

Während der Märzkämpfe kamen im gesamten mitteldeutschen Raum etwa 180 Menschen zu Tode, unter ihnen 35 Polizisten. Mehr als 6.000 Personen wurden verhaftet. In den folgenden Wochen und Monaten wurden 4.000 von ihnen zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt. Insgesamt gab es acht Verurteilungen zu lebenslanger Haft und vier Todesurteile.

Beinahe zwangsläufig wurde der Aufstandsversuch im mitteldeutschen Raum für die KPD in ihrer Gesamtheit zu einer weiteren schweren Niederlage. Weitgehend losgelöst von den Erwartungen, Hoffnungen und aktuellen Interessen der Arbeiter und organisatorisch schlecht vorbereitet, hatte es zu keinem Zeitpunkt die Chance auf einen Erfolg gegeben. Noch Monate nach dem Scheitern der Märzaktion versuchte Karl Radek mit einem Artikel in der »Internationale« die Verantwortung für das Scheitern der Partei insbesondere der SPD und der USPD anzulasten, doch auch er kam nicht umhin, Fehler in den eigenen Reihen einzugestehen: »Sollte die KPD untätig zuschauen, wie das rote Mitteldeutschland, die stärkste Burg des deutschen Kommunismus, in Banden geschlagen wird? Die Entscheidungen der Partei dürfen nicht durch Gefühlsmomente bestimmt werden; sie müssen von einer realen Einsicht in die bestehenden Machtverhältnisse bestimmt werden. Diese Einsicht ermöglichte und erforderte eine Aktion der Partei. [...] Die Taktik des Offenen Briefes, wenn er nicht ein einmaliger Trick war, forderte, bevor wir in die Aktion schritten, vor den Massen festzustellen, daß es nicht unsere Schuld ist, wenn wir genötigt sind, zu einer selbständigen Sonderaktion zu greifen. Die Bedürfnisse des Aufmarsches erforderten also, daß wir uns noch einmal an die Gewerkschaften und an die sozialdemokratischen Parteien wenden und an sie die Frage stellen: ›Wollt Ihr zusammen mit uns die Bergarbeiter Mitteldeutschlands verteidigen oder nicht?‹ Da die Regierungsaktion in Mitteldeutschland von dem preußischen Innenminister, dem Sozialdemokraten [Carl] Severing ausging, da sie von dem Sozialdemokraten Hörsing auf Geheiß der Bourgeoisie erfolgte, so hatten wir erstens die Aufgabe, die Sozialdemokratie zu nötigen, sich offen zu diesem Schlage gegen die Arbeiter zu bekennen, zweitens, die Unabhängigen zu nötigen, sich vor den Arbeitern in klarer Weise dazu zu bekennen, ob sie in einer Front mit der Orgesch[9] und mit Severing oder mit den Bergarbeitern Mitteldeutschlands stehen wollen. Dies alles wurde unterlassen, wodurch die Verantwortung für die selbständige Aktion auf uns, auf die KPD äußerlich fiel.«[10]

Radeks eher verschämtem Eingeständnis einer politischen Verantwortung der KPD stand seit Anfang April 1921 die bis heute berühmte Schrift des vormaligen Vorsitzenden der KPD, Paul Levi, gegenüber: »Unser Weg. Wider den Putschismus«.

Bereits einige Tage vor Erscheinen der Broschüre, am 27. März 1921, hatte Paul Levi in einem persönlichen Brief an W.I. Lenin in Moskau über die Märzereignisse in Deutschland geschrieben: »Wenn die deutsche Regierung und nicht die Kommunistische Partei die Aktion geleitet hätte, hätte sie nicht anders ausfallen können als so.«[11] Nun wurde er noch deutlicher. Der Märzaufstand sei der »größte Bakunisten-Putsch der bisherigen Geschichte«[12]. Die Moskauer Emissäre bezeichnete als »Turkestaner« und »Staatsmänner im Duodezformat«, die weniger Schaden angerichtet hätten, wenn sie ihre »Kunststücke« nicht in Westeuropa und Deutschland ausprobiert hätten.[13]

Vor allem kritisierte Levi jedoch, dass die Führung der KPD nicht versucht hatte, Verbündete für ihre Sache zu finden: »Viele Kommunisten begehen zwei Denkfehler. Der eine ist: sie sehen innerhalb der kämpfenden Klassen nur das Proletariat. In Wirklichkeit aber ist revolutionäre Taktik nicht, daß man immer nur sich selbst besieht und bemißt und bespiegelt; viel wichtiger ist das Verhältnis der Kommunisten zu allen anderen, gegen den Kapitalismus kämpfenden Klassen und Schichten, die alle gemeinsam mitwirken am Sturze der Bourgeoisie.«[14] Schlimmer noch: Am 20. März 1921 hatte die KPD in einem Artikel in der »Roten Fahne« einen Aufruf an die unabhängigen und sozialdemokratischen Arbeiter unter der Überschrift »Wer nicht für mich ist, der ist wider mich«[15] veröffentlicht und damit, wie Levi feststellte, vier Fünftel der Arbeiterschaft zu Feinden erklärt. Für Levi ein unverzeihlicher und durch nichts zu rechtfertigender Fehler: »Niemals wieder in der Geschichte der Kommunistischen Partei darf es geschehen, daß die Kommunisten den Arbeitern den Krieg erklären. Wer nach Bakuninscher Methode glaubt, mit Dynamit oder Prügeln die Arbeiter in Aktionen treiben zu können, hat keinen Platz in einer kommunistischen Partei.«[16]

Erwartungsgemäß teilten die Zentrale und der Zentralausschuss der KPD diese Ansicht nicht. Vielmehr bestätigte der Zentralausschuss in seiner Sitzung am 7. und 8. April 1921 einen Beschluss der Zentrale, in dem es in völliger Verkennung der Tatsachen hieß, dass die revolutionäre Offensive nur äußerlich mit einer Niederlage der KPD geendet habe. Die Partei sei keineswegs von breiten Teilen der Arbeiterschaft isoliert. In Wahrheit enthalte dieses Ergebnis die fruchtbaren Keime neuer, breiterer revolutionärer Aktionen. Die Kämpfe hätten USPD, SPD und Gewerkschaften vollends demaskiert und dem internationalen Klassenkampf einen neuen Anstoß gegeben. Die Märzaktion sei notwendig gewesen, »da die Partei trotz der ungünstigen Umstände des Kampfbeginns dem planmäßigen Aufmarsch der legalen und illegalen Gegenrevolution nicht kampf- und tatenlos zusehen durfte, wenn die Partei nicht zur Partei der revolutionären kommunistischen Phrase, statt zur Partei der revolutionären Aktion werden sollte.«[17]

Am 15. April 1921 wurde Paul Levi »wegen groben Vertrauensbruches und schwerer Parteischädigung« aus der KPD ausgeschlossen.[18]

Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Lenin Paul Levi in wesentlichen Punkten zustimmte. So schrieb er in einem »Brief an die deutschen Kommunisten« vom 14. August 1921, dass »Levi mit seiner Kritik an der Märzaktion 1921 in Deutschland in vielem dem Wesen der Sache nach recht hat.«[19]

Mehr noch. Auf dem Dritten Weltkongress der Kommunistischen Internationale vom 22. Juni bis 12. Juli 1921 in Moskau setzte Lenin, gegen breiten Widerstand, eine für alle Mitgliedsparteien verbindliche Abkehr von der »Offensivtheorie« hin zu einer Politik der »Einheitsfront«, also der Suche nach Bündnispartnern im linken Spektrum, durch.

Die KPD allerdings hatte im Ergebnis der Märzkämpfe des Jahres 1921 zwei Drittel ihrer vormals fast 450.000 Mitglieder verloren, unter ihnen viele einflussreiche Funktionäre. Nach dem Ausschluss des linken Flügels der Partei im Herbst 1919, der sich in der Folge als KAPD konstituierte, war dies der zweite große Aderlass, der zur Bildung der KAG, der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft, einer weiteren Splitterpartei, führte. Vor allem jedoch war nun der Weg bereitet für jene Kräfte in der Partei, die spätestens ab dem Herbst 1923 auf die »Bolschewisierung« der KPD setzten.

Anmerkungen

[1] Die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) war eine Abspaltung von der KPD, deren Mitglieder linke, parlamentarismuskritische und rätekommunistische Positionen vertraten. Sie war zeitweise kooptiertes Mitglied der Kommunistischen Internationale. Mitte 1921 hatte sie etwa 43.000 Mitglieder, spaltete sich jedoch in der Folge mehrmals und verlor zunehmend an Bedeutung.

[2] Alle Zitate nach: Ossip K. Flechtheim, Die KPD in der Weimarer Republik (Neuausgabe), Frankfurt am Main 1969, S. 160.

[3] Beschluß der Tagung des Zentralausschusses vom 17. März 1921, in: Stefan Weber, Ein kommunistischer Putschversuch? Märzaktion 1921 in Mitteldeutschland, Berlin 1991, S. 263 f.

[4] So zitiert in: Ebenda, S. 60.

[5] Vorwärts, Berlin, 19. März 1921.

[6] Hoelz wurde noch im April 1921 verhaftet. Im Juni 1921 wurde er von einem Sondergericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Juli 1928 kam er im Zuge einer Amnestie frei.

[7] Hamburger Volkszeitung, Hamburg, 22. März 1921.

[8] Vossische Zeitung, Berlin, 29. März 1921, Abendausgabe.

[9] Die »Organisation Escherich«, kurz »Orgesch«, war eine bewaffnete, extrem rechte und republikfeindliche paramilitärische Organisation. Auf dem Höhepunkt ihres Einflusses im Frühjahr 1921 hatte sie in ganz Deutschland etwa eine Million Mitglieder.

[10] Karl Radek, Lehren der Märzkämpfe, in: Die Internationale. Zeitschrift für Theorie und Praxis des Marxismus, Jahrgang 3, Heft 7, Berlin 1921, S.277-280.

[11] Paul Levi an W.I. Lenin, Berlin, 27. März 1921, in: Paul Levi, Gesammelte Schriften, Reden und Briefe, Band I/3, Berlin 2020, S. 579-585, hier: S. 584.

[12] Paul Levi, Unser Weg. Wider den Putschismus, Berlin 1921, S. 31.

[13] Ebenda, S. 41.

[14] Ebenda, S. 7.

[15] Die Rote Fahne, Berlin, 20. März 1921, Morgen-Ausgabe.

[16] Paul Levi, a.a.O., S. 41.

[17] So in: Heinrich August Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin (West) und Bonn 1984, S. 519.

[18] Im zweiten, nie veröffentlichten Band der vierbändigen »Geschichte der SED« war sogar von »Parteiverrat« die Rede. Vgl. dazu: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in vier Bänden, Band 2. Von 1917 bis 1945, Berlin (DDR) 1990, S. 183 (Korrekturfahne).

[19] W. I. Lenin, Brief an die deutschen Kommunisten, Moskau, 14. August 1921, in: W.I. Lenin, Werke, Berlin (DDR) 1982, Band 32, S. 537-548, hier: S. 541.

Letzte Änderung: 25. Juli 2022