Disput - Mai 2019

Blutmai

Nach dem Verbot aller Kundgebungen unter freiem Himmel kam es in Berlin am 1. Mai 1929 zu blutigen Überfällen der Polizei auf friedliche Demonstranten

Am 13. Dezember 1928 verfügte der sozialdemokratische Berliner Polizeipräsident Zörgiebel ein Verbot aller politischen Veranstaltungen unter freiem Himmel. Im März 1929 dehnte der sozialdemokratische preußische Innenminister Grzesinski dieses Verbot auf ganz Preußen aus. Offiziell ging es darum, »Ordnung und Sicherheit« auf den Straßen des größten deutschen Landes zu gewährleisten. Doch tatsächlich war es das Ziel, Auseinandersetzungen zu provozieren, die ein Verbot des kommunistischen Roten Frontkämpferbundes rechtfertigen würden. Zumindest aber sollte eine Wiederholung des großen politischen Erfolges der KPD am traditionellen 1. Mai verhindert werden:  Am 1. Mai 1928, nur drei Wochen vor den Reichstagswahlen, hatten vor allem die roten Fahnen mit Hammer und Sichel und die Losungen der KPD den damals noch gemeinsamen Demonstrationszug von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern in Berlin geprägt.

Die sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaften verlegten ihre Maifeiern widerspruchslos in die damals zahlreichen Veranstaltungssäle. Das kommunistische »Maikomitee der Berliner Arbeiterschaft« jedoch bestand auf Straßendemonstrationen. In einem Aufruf, den die »Rote Fahne« am 27. April 1929 veröffentlichte, hieß es: »Die Berliner Arbeiter werden der Tradition des Kampfaufmarsches am 1. Mai auch in diesem Jahr trotz Zörgiebel treu bleiben.«

Die Berliner Polizeiführung, gedeckt durch das preußische Innenministerium, sah sich daher veranlasst, eine allgemeine »Gefahrenlage« für die Reichshauptstadt nicht nur zu behaupten, sondern zu organisieren. Im Vorfeld des 1. Mai wurden deshalb in Berlin nicht weniger als 13.000 Polizisten mobilisiert und zahlreiche Panzerwagen mit Maschinengewehren bereitgestellt. »Berlin [wurde] geradezu von Polizei überflutet«, schrieb Carl von Ossietzky wenige Tage später in der legendären »Weltbühne«, «und ehe sich noch etwas ereignet hatte, [war] ein Bild geschaffen, als wäre der Bürgerkrieg [bereits] im vollen Gange.«

Auch über die Presse wurde die Öffentlichkeit auf blutige Zusammenstöße vorbereitet. Eine besonders üble Rolle spielte dabei der sozialdemokratische »Vorwärts«, der in seiner Abendausgabe vom 29. April 1929 von »Verbrecherischen Plänen der Kommunisten« schrieb und »200 Tote am 1. Mai« ankündigte.

Das Vorgehen zeigte Wirkung: An den Aufmärschen der KPD nahmen statt der erwarteten 300.000 Menschen nur einige Zehntausend teil.

Schon am Vormittag des 1. Mai 1929, so berichtete wenige Tage später die »Welt am Montag«, zeigte sich bei den Polizisten »die Lust zum schonungslosen Draufgehen [...], sobald sie sich nur im geringsten herausgefordert fühl[t]en.«

Gegen 11.30 Uhr gab es in der Gegend um den Hackeschen Markt die ersten Toten, als die Polizei wahllos das Feuer auf Demonstranten eröffnete, die sich mit Steinen gegen die Gummiknüppel der Polizei gewehrt hatten. Das erste Opfer war ein Sozialdemokrat, der auf dem Heimweg von einer (Saal-) Veranstaltung war und einen Polizisten angesprochen hatte.

Die Polizeiführung verbreitete nun umgehend die Nachricht, dass Polizisten in allen Teilen der Stadt, insbesondere aber in Neukölln und Wedding, beschossen werden würden. Tatsache aber ist, dass in den drei Tagen, die die Unruhen in Berlin andauerten, kein einziger Polizist eine Schussverletzung erlitt. Auch zielgerichtet gestreute Gerüchte über Barrikadenkämpfe erwiesen sich letztlich als Falschmeldung: Lediglich in der Kösliner Straße im Wedding, wo die KPD im Jahr zuvor mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen erhalten hatte, war ein Bauwagen als Sperre umgestoßen worden, um den Fahrzeugen der Polizei die Einfahrt in die Straße zu erschweren. Das hinderte die Polizeiführung nicht daran, auch bei den nachfolgenden Untersuchungen von »Exzessen« der kommunistischen Demonstranten zu berichten. Schließlich musste der massive Schusswaffengebrauch gerechtfertigt werden.

Insgesamt gab es in Berlin mindestens 33 Tote und 198 Verletzte. 1.228 Personen wurden festgenommen. Auf Seiten der Polizei gab es keine Toten, 47 Beamte wurden verletzt.

Am 3. Mai 1929 wurde in ganz Deutschland der Rotfrontkämpferbund verboten, dem man die Verantwortung für die Maiunruhen zuschanzte. Der bereits zitierte Ossietzky allerdings erklärte im Rückblick: »Die Verletzung des Demonstrationsverbots ist kein Verbrechen, sondern die Maßnahme einer Arbeiterpartei, die hierin nur der Tradition der alten Sozialdemokratie gefolgt ist.« Die Liga für Menschenrechte kam im Oktober 1929 zu der Feststellung: »Die Leitung der Polizei selbst hat Maßnahmen ergriffen, die von keinem Standpunkt aus mit dem Zweck einer sich dem Staatsganzen einordnenden Polizei in Einklang zu bringen sind, die vielmehr selbst teilweise durchaus gesetzeswidrig waren.«

Autor: Ronald Friedmann
Ausgedruckt am: 20. April 2024
Quelle: www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2019/blutmai/