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Ausgewählte Artikel - 2018
neues deutschland - 29. Dezember 1918

»… wieder bei Marx«

Zum Jahreswechsel 1918 auf 1919 gründete sich die KPD – mit erheblichen Geburtsfehlern

Die Novemberrevolution machte es möglich. Am 29. Dezember 1918 kam der Spartakusbund im prunkvollen Festsaal des Preußischen Abgeordnetenhauses zu Berlin zu einer nichtöffentlichen Reichskonferenz zusammen, um eine Entscheidung von historischer Tragweite treffen – die organisatorische Trennung von der USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, und die Gründung einer eigenen Partei. Es gab dabei nur drei Gegenstimmen, u.a. von Leo Jogiches, der nach der Verhaftung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in den Kriegsjahren die Leitung der Spartakusgruppe übernommen hatte. Doch er und die beiden, die mit ihm stimmten, waren nicht grundsätzlich gegen eine neue Partei, sie hielten nur den Zeitpunkt für falsch.

Dass die Entscheidung so deutlich ausfiel, war keineswegs selbstverständlich. Denn nicht erst während des Revolutionsherbstes 1918 war es die Position des Spartakusbundes gewesen, innerhalb der SPD bzw. der USPD zu wirken. Noch auf ihrer illegalen Reichskonferenz Mitte Oktober hatte sich die (damals noch Spartakusgruppe genannte) Organisation auf das »Zurückerobern der Partei von unten« festgelegt. Auch am 11. November, als man sich erstmals legal traf und als Spartakusbund konstituierte, stand eine Trennung nicht zu Debatte. Und Rosa Luxemburg, die nach ihrer Haftentlassung seit dem 10. November wieder in Berlin lebte und arbeitete, schrieb am 29. November an Clara Zetkin, namhafte Teile der USPD-Führung sowie »die Massen« stünden »ganz auf unserem Boden«. Das war allerdings so hoffnungsfroh wie realitätsfern.

Zwei Ereignisse Mitte Dezember 1918 beförderten dann den Meinungsumschwung, der schließlich zur Parteigründung führte: Erstens scheiterte Rosa Luxemburg am 15. Dezember in der Generalversammlung der Berliner USPD mit dem Antrag, die Partei solle aus dem »Rat der Volksbeauftragten« ausscheiden, die Bildung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung ablehnen und alle politische Macht an die Arbeiter- und Soldatenräte übertragen. Weniger als ein Drittel der Delegierten stimmte dem zu.

Zweitens beschloss der von Mehrheitssozialdemokraten dominierte Reichsrätekongress, der vom 16. bis 21. Dezember in Berlin tagte, mit großer Mehrheit die Einberufung einer Nationalversammlung – und delegitimierte so de facto die Räte als Organe der Revolution. Luxemburg und Liebknecht hatten bei diesem Kongress weder ein Mandat noch durften sie zu den Delegierten sprechen.

Am 22. Dezember beschloss daher der Spartakusbund, eine Reichskonferenz einzuberufen, auf der es um die Krise der USPD, das eigene Programm und nicht zuletzt das Verhältnis zu einer künftigen Nationalversammlung gehen sollte. Bereits bei dieser Vorkonferenz am 29. Dezember erlitt Luxemburg eine folgenreiche Niederlage. Sie wollte die neue Partei in klarer Unterscheidung zu den russischen Bolschewiki nicht »Kommunistische«, sondern »Sozialistische Partei Deutschlands« nennen. Dies sollte verdeutlichen, dass die neue Organisation – anders als Lenins Kaderpartei – eine Partei der Massen werden sollte. Die Mehrheit aber sprach sich für Fritz Heckerts Vorschlag aus: »Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund)«. Es war ein böses Omen: Zwar wurde die KPD durch die Vereinigung mit dem linken Flügel der USPD im Herbst 1920 doch noch zu einer Massenpartei, doch blieb von Rosa Luxemburgs Ideen im Ergebnis der fortschreitenden Stalinisierung der KPD im Verlaufe der späten zwanziger Jahre kaum etwas übrig.

Der eigentliche Gründungsparteitag begann am 30. Dezember. Anwesend waren 127 Delegierte aus 56 Orten. Unter dem Vorsitz von Wilhelm Pieck und Jacob Walcher begann der Kongress mit einer Rede Liebknechts zur »Krisis« der USPD. »Wenn wir heute auseinandergehen«, so Liebknecht, müsse »eine neue Partei gegründet sein, die im Gegensatz zu den scheinsozialistischen Parteien« stehe, welche nur die »die Massen zu verwirren und den herrschenden Klassen in die Hände zu arbeiten« trachteten. »Entschlossen« und »rücksichtslos« sei die Sache des Proletariats zu verfechten, im »Geiste und im Willen« brauche man ein »klares Programm«. Weitere Referate hielten Paul Levi, Hugo Eberlein, Paul Lange und Hermann Duncker.

Rosa Luxemburg hatte bereits am 14. Dezember in der »Roten Fahne« ihren programmatischen Text »Was will der Spartakusbund?« veröffentlicht, den sie als Programmentwurf auf dem Parteitag begründete – und der nach kurzer Diskussion und mit nur geringfügigen Änderungen auch beschlossen wurde. In ihrer Rede befasste sich Luxemburg grundsätzlich mit dem Verhältnis von parlamentarischem Kampf und der »Straßenrevolution«, also außerparlamentarischer Politik. Ein Satz aus dieser Rede wird bis heute immer wieder zitiert: Man erlebe gerade den »den Moment, wo wir sagen können: Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner. Wenn wir heute in unserem Programm erklären: Die unmittelbare Aufgabe des Proletariats ist keine andere als (...) den Sozialismus zur Wahrheit und Tat zu machen und den Kapitalismus mit Stumpf und Stiel auszurotten, so stellen wir uns auf den Boden, auf dem Marx und Engels 1848 standen.«

Doch dass diese Formulierungen in den Kanon parteikommunistischer Rhetorik eingingen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Luxemburg mit ihren Überlegungen zum Verhältnis von »Straße« und Parlament auf dem Parteitag eine zweite weitreichende Niederlage hinzunehmen hatte: Als es um die konkrete Strategie gegenüber der Nationalversammlung ging, deren Wahl für den 19. Januar angesetzt war, also keine drei Wochen nach dem Kongress, konnte sie ihrer Position nicht durchsetzen. Bereits am 23. Dezember hatte Rosa Luxemburg in der »Roten Fahne« geschrieben, man müsse »die Wahlen zur Nationalversammlung zum Kampfe gegen die Nationalversammlung verwerten«. Das aber hätte vorausgesetzt, sich an diesen Wahlen zu beteiligen. In diesem Sinne argumentierte auch Paul Levi, ihr persönlicher wie politischer Vertrauter. Von lautstarken Zwischenrufen begleitet legte er auf dem Parteitag dar, dass diese Nationalversammlung zwar die »Burg« sei, »die die Gegenrevolution sich aufbauen will« – man aber gerade deswegen nicht umhinkomme, »in diese Wahlen einzutreten und sie durchzukämpfen mit aller Erbitterung und aller Energie und aller Kampfesfreudigkeit«. Auch dies sah eine radikale Mehrheit des Parteitags am Ende anders. Gegen Luxemburg, Liebknecht, Levi und andere wurde beschlossen, sich nicht an den Wahlen zur Nationalversammlung zu beteiligen.

Diese grundsätzliche Entscheidung – die vor allem von Delegierten der Internationalen Kommunisten Deutschlands, aber auch von Abgesandten des Berliner Verbandes der neuen Partei getragen wurde – hatte zwar nur wenige Monate Bestand. Dann wurden auf dem Heidelberger Parteitag die ultralinken Teile der KPD unter dem maßgeblichen Einfluss von Paul Levi weitgehend aus der Organisation gedrängt. Doch in den Auseinandersetzungen um die entstehende Weimarer Republik spielte die KPD keine Rolle. So bewahrheitete sich sehr schnell die Prophezeiung von Paul Levi auf dem Parteitag: »Sie werden mit dieser Entscheidung [gegen die Nationalversammlung] sich selbst und unserer Bewegung den größten Schaden zufügen.«

Karl Liebknecht erlebte auf dem Gründungsparteitag der KPD, der letzten großen politischen Versammlung seines Lebens, eine weitere Niederlage: Zwar wurde der Kongress, der eigentlich am 31. Dezember 1918 hätte enden sollen, kurzfristig um einen Tag verlängert, um – so Liebknechts Idee – auch die »Revolutionären Obleute« für die neue Partei zu gewinnen und damit deren Basis erheblich zu erweitern. Doch scheiterten auch diese Verhandlungen am Unwillen der Mehrzahl der Parteitagsdelegierten, in der Frage der Nationalversammlung doch noch eine realpolitische Position einzunehmen.

Die Unreife der neuen Partei zeigte sich aber nicht nur in den Entscheidungen des Gründungsparteitages. Nur Tage danach ließen sich Liebknecht und andere Führungsmitglieder der neuen Partei von den spontanen und nichtorganisierten Massenprotesten in Berlin täuschen und hielten – entgegen den Warnungen u.a. von Rosa Luxemburg – den Zeitpunkt für den »revolutionären Sturz« der verhassten »Revolutionsregierung« unter Friedrich Ebert und Phillip Scheidemann für gekommen. Nur Tage später waren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht tot.

Die Frage ist müßig, aber sie stellt sich im historischen Rückblick dennoch: Wäre die deutsche Geschichte anders verlaufen, wenn der Gründungsparteitag der KPD zu anderen Ergebnissen gekommen wäre?

Letzte Änderung: 31. Dezember 2018