Disput - Mai 2018

Ossietzky

Vor achtzig Jahren, am 4. Mai 1938, starb der Pazifist und Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky an den Folgen der Misshandlungen im KZ

Carl von Ossietzky wurde am Morgen des 28. Februar 1933 verhaftet, nur Stunden nach dem Reichstagsbrand. Bis heute ist unklar, ob er auf eine Flucht ins Ausland verzichtete, weil er glaubte, dem Naziregime als Gefangener größere Probleme zu bereiten, oder ob es die Sorge um Frau und Tochter war, die ihn in Hitlerdeutschland hielt.

Ossietzky war erst wenige Wochen zuvor im Zuge einer Amnestie aus dem Gefängnis in Berlin-Tegel entlassen worden, wo er sieben Monate einer achtzehnmonatigen Haftstrafe wegen Landesverrats und Verrats militärischer Geheimnisse verbüßt hatte. Vorangegangen war der berüchtigte Weltbühnenprozess, durch den Ossietzky weit über Deutschland hinaus als Friedenskämpfer, Patriot und außergewöhnlicher Journalist bekanntgeworden war.

Carl von Ossietzky wurde am 3. Oktober 1889 in Hamburg geboren. Sein Vater arbeitete in der Anwaltskanzlei des späteren Hamburger Bürgermeisters Max Predöhl. Nach dem frühen Tod des Vaters sorgte Predöhl dafür, dass der Junge eine gute schulische Ausbildung erhielt. Doch wegen mangelhafter mathematischer Kenntnisse scheiterte Ossietzky mehrmals bei den Prüfungen zur mittleren Reife, eine akademische Laufbahn blieb ihm daher trotz hervorragender Leistungen in Literatur und Geschichte dauerhaft verwehrt. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, trat Ossietzky am 1. Oktober 1907 als Hilfskraft in den Hamburger Justizdienst ein. Tatsächlich führte er ein Doppelleben: Die Tage verbrachte er im Amt, die Abende bei politischen und literarischen Veranstaltungen. 1911 veröffentlichte er in der liberalen Wochenzeitung »Das freie Volk« seinen ersten Artikel.

1914 machte Ossietzky eine für ihn neuartige Erfahrung mit der kaiserlichen deutschen Justiz: Er wurde selbst angeklagt und zu einer Geldstrafe von 200 Mark verurteilt, weil er in einem Artikel die drakonischen Strafen eines Militärgerichts gegen drei Soldaten kritisiert hatte, die wegen des übermäßigen Konsums von Alkohol zu jeweils fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden waren.

Der Dienst an den Fronten des Ersten Weltkriegs blieb Ossietzky zunächst erspart. Doch 1916 wurde seine Rückstellung aus gesundheitlichen Gründen aufgehoben und er wurde als sogenannter Armierungssoldat an die Westfront geschickt. Im Schützengraben verschwand seine anfängliche Kriegsbegeisterung sehr schnell, und im Herbst 1918 kehrte er als Pazifist und überzeugter Kriegsgegner nach Deutschland zurück.

Von 1920 bis 1924 arbeitete er als Journalist bei der »Berliner Volks-Zeitung«, einer regionalen Tageszeitung, die der liberalen Deutschen Demokratischen Partei nahestand.

Bereits seit 1924 hatte sich Siegfried Jacobsohn, der Herausgeber der bis heute legendären  »Weltbühne«, auf Anregung von Kurt Tucholsky bemüht, Carl von Ossietzky als Mitarbeiter zu gewinnen. Doch erst 1926 unternahm Ossietzky den entscheidenden Schritt und trat in die »Weltbühne« ein, deren Leitung er 1927 als Herausgeber und Chefredakteur übernahm.

Am 12. März 1929 veröffentlichte die »Weltbühne« den Artikel »Windiges aus der deutschen Luftfahrt«, den der Journalist Walter Kreiser verfasst hatte. Kreiser hatte Verbindungen zwischen der Reichswehr und der deutschen Luftfahrtindustrie aufgedeckt, die auf geheime Bemühungen zum Aufbau einer deutschen Luftwaffe hindeuteten, was durch den Versailler Vertrag verboten war.  

Die Führung der Reichswehr witterte sofort Verrat, und im August 1929 wurden offizielle Ermittlungen gegen Kreiser als Autor und Ossietzky als verantwortlichem Redakteur aufgenommen. Doch es dauerte mehr als eineinhalb Jahre, bevor sich alle involvierten staatlichen Behörden auf ein gemeinsames Vorgehen gegen die »Weltbühne« verständigen  konnten. Erst Ende März 1931 wurde Anklage erhoben, am 17. und 19. November 1931 fand schließlich der Prozess statt. Das Urteil wurde am 23. November 1931 gesprochen.

Obwohl – oder gerade weil – der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, erregte er nicht nur in Deutschland große Aufmerksamkeit. Im In- und Ausland gab es in der Folge zahlreiche, letztlich vergebliche Bemühungen, für Ossietzky eine Haftverschonung zu erreichen. Denn Ossietzky war nicht bereit, sich der Strafe durch Flucht ins Ausland zu entziehen, so dass er am 10. Mai 1932 den Gang nach Berlin-Tegel antreten musste.

In der »Weltbühne« hatte Ossietzky am 1. Dezember 1931 die Vermutung geäußert, dass in einem drohenden »Dritten Reich [...] Verräter wie Kreiser und ich ohne Aufhebens füsiliert« werden würden. Doch der Leidensweg, den Ossietzky in den Jahren der Haft in faschistischen Konzentrationslagern durchschreiten musste, war grausamer als eine schnelle Erschießung. Über Jahre hinweg gehörten physische und psychische Misshandlung zu seinem Alltag.

Sehr schnell sammelte sich in der Emigration der informelle »Freundeskreis Carl von Ossietzky«, der es sich zur Aufgabe machte, das Leben Ossietzkys zu retten. So entstand die Idee, ihn für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen, der ihm einen gewissen Schutz gewähren würde. Tatsächlich entschied das Nobelpreiskomitee Ende November 1936, Ossietzky den bis dahin nicht vergebenen Preis für das Jahr 1935 rückwirkend zu verleihen. 

Wenige Tage zuvor war Ossietzky offiziell aus der Haft entlassen worden, doch war dies keine Rettung: Die letzten eineinhalb Jahre seines Lebens führte er einen hoffnungslosen Kampf gegen die Tuberkulose, mit der er sich im KZ infiziert hatte. Am 4. Mai 1938 starb Carl von Ossietzky in Berlin, erst 48 Jahre alt.

Autor: Ronald Friedmann
Ausgedruckt am: 25. April 2024
Quelle: www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2018/ossietzky/