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Ausgewählte Artikel - 2017
Disput - Januar 2017

Tlatelolco

Vor 50 Jahren, am 14. Februar 1967, wurde in Mexiko-Stadt der Vertrag über ein atomwaffenfreies Lateinamerika unterzeichnet

Am 14. Februar 1967 war Tlatelolco, der zentrale Stadtteil der mexikanischen Hauptstadt, Schauplatz eines historischen Ereignisses, das bis heute weltweit nachwirkt:  Nur wenige Dutzend Schritte vom berühmten Platz der Drei Kulturen entfernt, dessen grandiose Bauwerke aus sieben Jahrhunderten die verschiedenen Epochen der mexikanischen Geschichte symbolisieren, wurde nach mehrjährigen Verhandlungen der Vertrag von Tlatelolco unterzeichnet, der das Testen, das Stationieren, den Besitz sowie die Herstellung von Atomwaffen in Lateinamerika und der Karibik verbietet. Zum ersten Mal in der Geschichte wurde so ein von Menschen bewohntes Gebiet zur atomwaffenfreien Zone erklärt, nach dem bereits durch den Antarktisvertrag, der am 23. Juni 1961 in Kraft getreten war, eine ganzer, wenn auch weitgehend menschenleerer Kontinent geschützt worden war. Zwei Zusatzprotokolle ergänzten den Vertrag: In einem ersten Dokument verpflichteten sich die USA, Großbritannien, die Niederlande und Frankreich, die in Lateinamerika bzw. der Karibik Überseeterritorien besaßen, die Bestimmungen des Vertrages einzuhalten. In einem zweiten Dokument, das von den fünf offiziellen Atomwaffenstaaten, also den USA, Großbritannien, Frankreich, China und der damaligen Sowjetunion unterzeichnet und ratifiziert wurde, erklärten die Signatarstaaten völkerrechtlich verbindlich, den atomwaffenfreien Status des Vertragsgebiets respektieren zu wollen. Nach der Ratifizierung durch Mexiko und El Salvador trat der Vertrag von Tlatelolco am 22. April 1968 in Kraft. Obwohl alle Staaten Lateinamerikas und der Karibik, mit Ausnahme Kubas, den Vertrag am 14. Februar 1967 unterzeichnet hatten, dauerte es mehr als 35 Jahre bis auch alle Staaten des Vertragsgebietes den Vertrag ratifiziert hatten.

Kuba, das im Gefolge der US-amerikanischen Boykottpolitik jahrzehntelang de facto aus der lateinamerikanischen Staatengemeinschaft ausgeschlossen war, unterzeichnete den Vertrag erst am 25. März 1995. Die beständige Bedrohung Kubas durch die USA und die fortgesetzte US-amerikanische Okkupation Guantánamos, eines integralen Teils des kubanischen Staatsgebietes, so eine offizielle Erklärung des kubanischen Außenministerium nach der Ratifizierung des Vertrages von Tlatelolco am 23. Oktober 2002, habe Kuba viele Jahre veranlasst, sich dem Vertrag nicht anzuschließen. Doch Kuba habe angesichts der seit 1990 grundlegend veränderten Weltlage seinen Willen und seine Bereitschaft zum Ausdruck bringen wollen, einen Beitrag zur weltweiten Abrüstung zu leisten.

Andere lateinamerikanische Staaten verzögerten die Ratifizierung über viele Jahrzehnte oder versuchten, sich durch Protokollerklärungen einen politischen »Spielraum« offen zu halten. Argentinien beispielsweise setzte den Vertrag von Tlatelolco erst am 18. Januar 1994 in Kraft. In Brasilien gab es über viele Jahre hinweg geheime Bestrebungen, eine eigene Atombombe zu entwickeln und zu bauen.

Trotz aller Unzulänglichkeiten des Vertrages von Tlatelolco und trotz aller Verzögerungen bei seiner Ratifizierung fand die Idee atomwaffenfreier Zonen ein weltweites Echo. Mit dem Vertrag von Rarotonga, der am 11. November 1986 in Kraft trat, erklärten sich 13 Staaten des Südpazifik zur atomwaffenfreien Zone.

Vom 20. bis 22. Juni 1988 lud die Regierung der DDR zu einem Internationalen Treffen für kernwaffenfreie Zonen nach Berlin ein. Drei Tage lang berieten mehr als eintausend Abgesandte von Regierungen, Parteien und Organisationen aus rund 120 Ländern Fragen der internationalen Sicherheit. Auch aus der alten Bundesrepublik waren namhafte Persönlichkeiten angereist. Zur offiziellen Delegation der SPD gehörten Egon Bahr, Hermann Scheer, Olaf Scholz und Karsten Voigt, die Grünen wurden u.a. von Petra Kelly vertreten, und selbst die FDP hatte mehrere Mitglieder ihrer Bundestagsfraktion und ihres Bundesvorstandes in die Hauptstadt der DDR entsandt. Mit dem Ende der DDR nur eineinhalb Jahre später waren allerdings alle Impulse obsolet, die von der Berliner Konferenz ausgegangen waren.

In den letzten rund zwanzig Jahren entstanden drei weitere atomwaffenfreie Zonen – in Südostasien durch das Abkommen von Bangkok (1995), in Afrika durch das Abkommen von Pelindaba (2006) und in Mittelasien durch das Abkommen von Semipalatinsk (2006). Gegenwärtig gibt es weltweit also fünf atomwaffenfreie Zonen, zu denen 114 Staaten gehören.

Und schließlich: Durch den sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrag über den Status des »wieder«vereinigten Deutschland vom 12. September 1990 wurde Ostdeutschland dauerhaft zur atomwaffenfreien Zone erklärt. In Westdeutschland ist die Stationierung von Atomwaffen weiterhin möglich. Mehr noch, die Bundesregierung zahlt jährlich etliche Millionen Euro, um die Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen in Deutschland zu finanzieren.   

Letzte Änderung: 22. Februar 2017