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Ausgewählte Artikel - 2017
Disput - Juli 2017

Rebellion in der Flotte

Vor 100 Jahren, im Sommer 1917, protestierten erstmals Matrosen der kaiserlichen deutschen Flotte gegen Krieg, Hunger und Schikanen - es war das Vorspiel zur Novemberrevolution des folgenden Jahres

Die Kaiserliche Kriegsmarine war der ganze Stolz der deutschen Monarchie. Über Jahre hinweg waren ungeheure finanzielle und materielle Mittel aufgewendet worden, um eine Seestreitmacht aufzubauen, die die Herrschaft über die Weltmeere erringen sollte. In einem kommenden, als unvermeidlich betrachteten Weltkrieg, so die Vorstellung der Admiralität, sollte ihr Einsatz die Entscheidung bringen.

In krassem Gegensatz dazu stand die Behandlung der Mannschaften an Bord. Denn für ihre Unterbringung standen nur enge, dunkle und kaum belüftete Räume zu Verfügung. Nicht nur auf U-Booten teilten sich mehrere Matrosen im Wechsel der Schichten ein Bett oder eine Hängematte. Mit zunehmender Kriegsdauer wurde die Verpflegung immer schlechter. Für die einfachen Matrosen gab es nur noch Hungerrationen mit Lebensmitteln schlechtester Qualität. Den Offizieren hingegen, die sich ausschließlich aus den »gehobenen« Gesellschaftskreisen rekrutierten, standen auf den Schiffen nicht nur geräumige und gut ausgestattete Unterkünfte und Salons zur Verfügung, ihre Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln wurde bis zum letzten Kriegstag gewährleistet.

Für das Verhältnis von Offizieren und Mannschaften war jedoch entscheidend, dass die Offiziere ihren Klassendünkel gegenüber ihren Untergebenen hemmungslos auslebten und die Besatzungen bei jeder sich bietenden Gelegenheit schikanierten und malträtierten. Dieses menschenverachtende Verhalten hatte zur Folge, dass ohne Übertreibung von einer offenen Feindschaft zwischen Offizieren und Mannschaften gesprochen werden konnte.

Die Berichte über die Februarrevolution in Russland und den Sturz des Zarenregimes gaben vielen Matrosen den entscheidenden Anstoß, sich nach Jahren des Stillhaltens nun endlich gegen die erlittenen Ungerechtigkeiten aufzulehnen und eigene Forderungen zu stellen. Unterstützt und motiviert wurden sie dabei von der im April 1917 gegründeten USPD, deren Führung sich konsequent mit den Matrosen solidarisierte, wie mehrere Treffen in den Häfen von Wilhelmshaven und Kiel bewiesen. Mit dem Kriegseintritt der USA, einer Reaktion auf die Erklärung des »uneingeschränkten U-Boot-Kriegs« durch die deutsche militärische Führung, stellte sich auch für die Matrosen der kaiserlichen Flotte die Frage der sofortigen Beendigung des Krieges und eines schnellen Friedenschlusses mit neuer großer Dringlichkeit

In der Folge kam es ab Juli 1917 wiederholt zu sogenannten Ausmärschen, symbolischen Protestaktionen, bei denen sich Matrosen während der Dienstzeit kurzzeitig unerlaubt von ihren Schiffen entfernten. Am 1. August wurden die 49 Matrosen der »Prinzregent Luitpold«, die sich am Vortag an einem solchen Ausmarsch beteiligt hatten, mit drakonischen Strafen belegt. Als Zeichen der Solidarität mit ihren gemaßregelten Kameraden verließen am folgenden Tag etwa 600 Matrosen »in geschlossener Dienstverweigerung« das Schiff und hielten an Land eine kurze Versammlung ab. Bei der Rückkehr auf die »Prinzregent Luitpold« wurden sechs Mann als angebliche Rädelsführer verhaftet und am 25. August 1917 vor ein Kriegsgericht gestellt. Die Matrosen Albin Köbis und Max Reichpietsch wurden wegen »vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung« zum Tode verurteilt, ihre Mitangeklagten erhielten langjährige Zuchthausstrafen. In der Urteilsbegründung hieß es: »Denn nicht erst in dem äußeren Losschlagen, in der Gewaltanwendung, sondern bereits in der Bildung einer mit bestimmten landesverräterischen Zielen bestehenden Organisation, die auf einen Wink der Leitung jeden Augenblick losschlagen konnte, erkannte das Gericht die Vollendung der kriegsverräterischen Aufstandserregung.« Am 5. September 1917 wurden die Todesurteile vollstreckt, Albin Köbis und Max Reichpietsch starben im Kugelhagel eines Erschießungskommandos.

Im Jahr 1930 setzte der heute zu Unrecht weitgehend vergessene Schriftsteller Theodor Plivier den beiden Matrosen mit seinem Roman »Des Kaisers Kulis« ein literarisches Denkmal. »Die Eroberungsziele«, so ließ er Albin Köbis und Max Reichpietsch vor dem Kriegsgericht erklären, »sind unser Verderben, ohne sie wäre Frieden. Wir könnten wieder arbeiten und hätten zu fressen. Und die anderen sind doch auch Menschen. Die Völker müssen zusammenkommen und sich verständigen. Das Morden ist sinnlos. Der Krieg ist ein riesengroßes Geschäft. Nieder mit dem Krieg!«

Letzte Änderung: 21. Juli 2017