www.ronald-friedmann.de
Ausgewählte Artikel - 2017
Disput - Juni 2017

Kulturbarbarei

Am 19. Juli 1937 wurde in München die Ausstellung »Entartete Kunst« mit 650 konfiszierten Kunstwerken aus 32 deutschen Museen eröffnet

Die Beauftragten von »Reichspropagandaminister« Joseph Goebbels hatten Dutzende Museen in allen Teilen Deutschlands geplündert und hunderte zeitgenössische Kunstwerke verschleppt – Meisterwerke von namhaften und weniger bekannten Impressionisten, Expressionisten, Kubisten, Dadaisten, Futuristen und Vertretern der Neuen Sachlichkeit, unter ihnen Ernst Barlach, Paul Klee, George Grosz, Marc Chagall, Otto Dix, Wassily Kandinsky, Ernst-Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, Käthe Kollwitz u.v.a.

Das Ergebnis dieses Raubzuges war die Ausstellung »Entartete Kunst«, die am 19. Juli 1937, vor genau achtzig Jahren, in den Arkaden des Münchner Hofgartens mit großem propagandistischem Aufwand eröffnet wurde. Mit dieser Präsentation ausgewählter Gemälde, Graphiken und Skulpturen sollte die moderne zeitgenössische Kunst aus der Zeit vor dem Machtantritt der deutschen Faschisten am 30. Januar 1933 als »jüdisch-bolschewistischer Angriff« auf die »völkische« und »arische« Kultur nachhaltig diffamiert werden. Sie sollte der Beleg für das »grauenhafte Schlusskapitel des Kulturzerfalls der letzten Jahrzehnte vor der großen Wende« sein, wie es einleitend im offiziellen Ausstellungsführer hieß. Hitler selbst sah die Ausstellung als Auftakt zu einem »unerbittlichen Säuberungskrieg« gegen »die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung«.

Die »Kuratoren« der Ausstellung, allen voran Adolf Ziegler, seines Zeichens Präsident der »Reichskammer der Bildenden Künste«, hatten alles unternommen, um die »Entartete Kunst« - in übertragenem und im Wortsinn - in schlechtem Licht erscheinen zu lassen. Bilder wurden willkürlich gehängt und mit bösartigen Kommentaren - »Verniggerung«, »moralische Schweinerei«, »absolute Dummheit« - versehen, um ja keinen Zweifel zu lassen, dass die ausgestellten Exponate zu Recht der Verdammnis verfallen waren.

Die Münchner Schau hatte innerhalb weniger Wochen mehr als 200.000 Besucher. In den folgenden fast vier Jahren, bis zum April 1941, wurde die Ausstellung »Entartete Kunst«, zum Teil mit wechselnden Exponaten, in weiteren deutschen Städten gezeigt, darunter Berlin, Leipzig, Hamburg und Frankfurt.

Insgesamt sahen mehr als 3 Millionen Menschen die von Staats wegen verfemten Kunstwerke. Es ist unbekannt, welche Motive sie in die Ausstellung führten. Doch es ist keineswegs abwegig zu vermuten, dass nicht wenige von ihnen Abschied nehmen wollten von einer Kunst, die sie für immer verloren glaubten.

Die »Säuberung« der deutschen Museen hatte bereits 1933 begonnen. Viele Künstler waren aus politischen und rassistischen Gründen mit Ausstellungs- oder Malverbot belegt worden. Doch es blieb nicht beim Verbot ihrer Kunst: Wer sich der »neuen« Ordnung nicht bedingungslos anpassen wollte, musste den Weg ins Exil gehen oder er riskierte Leib und Leben.

Mit dem »Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst« vom 31. Mai 1938 erhielt die kunst- und kulturfeindliche Politik des »Dritten Reiches« schließlich auch eine juristische Grundlage. Das Gesetz sah die entschädigungslose Enteignung »entarteter Kunst« zugunsten des Staates vor. Auf dieser Grundlage wurden insgesamt mehr als 20.000 Kunstwerke beschlagnahmt. Wiederholt gab es Versuche, Werke in großer Zahl ins Ausland zu verkaufen. Was sich als unverkäuflich erwies, wurde »eingelagert« oder verbrannt.

Zeitgleich mit der Propagandaschau gegen »Entartete Kunst« präsentierte das Nazi-Regime im neueröffneten »Haus der Deutschen Kunst« in München eine »Große Deutsche Kunstaustellung«, die zeigen sollte, was man unter »deutscher Kunst« zu verstehen hatte.

Ein knappes Jahr später, im Mai 1938, folgte eine Ausstellung »Entartete Musik«, die sich gegen moderne Unterhaltungsmusik wie Swing oder Jazz richtete, vor allem aber Künstler der modernen Klassik wie Hanns Eisler und Arnold Schönberg diffamieren sollte.

Angesichts des unendlichen Leides, das der Zweite Weltkrieg über die Menschheit brachte, mag die Kulturbarbarei des deutschen Faschismus, wie sie sich im Vorgehen gegen die »Entartete Kunst« in ihrer ganzen Vielfalt zeigte, als zweitrangig gelten. Doch die Erkenntnis ist wichtig, dass die zerstörerische Kunst- und Kulturfeindlichkeit ein Wesensmerkmal des Faschismus ist.

Letzte Änderung: 30. Juni 2017