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Ausgewählte Artikel - 2017
Disput - März 2017

Gotha 1917

Vor 100 Jahren wurde auf einem Parteitag in Gotha, der nicht zufällig in der thüringischen Kleinstadt stattfand, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) gegründet

Im Mai 1875 hatten sich in der thüringischen Kleinstadt Gotha die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht geführte Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) und der von Ferdinand Lassalle geschaffene Allgemeine Deutsche Arbeiterverein  (ADAV) zur Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) zusammengeschlossen, die sich ab 1890 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) nannte. Vier Jahrzehnte später war Gotha erneut der Tagungsort eines bedeutenden Treffens der deutschen Sozialdemokratie: Vom 6. bis 8. April 1917 kamen im »Volkshaus zum Mohren« 124 Delegierte aus 91 (der insgesamt 357) sozialdemokratischen Wahlkreisorganisationen und fünfzehn der 110 sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten zu einer »Reichskonferenz der sozialdemokratischen Opposition« zusammen. Im Ergebnis des dreitägigen Treffens wurde die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die USPD, gegründet, die in den folgenden fünf Jahren eine gewichtige Kraft in der deutschen Parteienlandschaft war.

Die Vorgeschichte

Die Spaltung der SPD, die im April 1917 mit der Gründung der USPD endgültig vollzogen wurde, hatte ihren Anfang bereits in den ersten Tagen des Ersten Weltkriegs genommen. Am 4. August 1914 hatte die sozialdemokratische Reichstagsfraktion unter Verweis auf eine angeblich notwendige »Verteidigung des Vaterlandes« einstimmig und vorbehaltlos der Aufnahme von Kriegskrediten zugestimmt. Die SPD hatte sich damit von allen –  in der Vorkriegszeit hundertfach beschworenen – Bekenntnissen zum Frieden und zur Völkerverständigung losgesagt. Das »Nein« von Karl Liebknecht, der am 2. Dezember 1914 als einziger Abgeordneter des Reichstages gegen weitere Kriegskredite stimmte, wirkte auf die oppositionellen Kräfte in der SPD wie ein Befreiungsschlag. Doch es waren vorerst nur die Linken um Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Franz Mehring, die die Haltung und das Auftreten von Liebknecht ausdrücklich unterstützten. Aus diesem Kreis entstand im Verlauf des Jahres 1915 ein zunächst loser Zusammenschluss, der sich im Januar 1916 als reichsweite »Gruppe Internationale«, dem späteren Spartakusbund, konstituierte. Doch auch innerhalb der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion vollzogen sich in dieser Zeit wichtige Entwicklungen: Im Dezember 1915 stimmte erstmals  eine größere Zahl von sozialdemokratischen Abgeordneten gemeinsam mit Karl Liebknecht und Otto Rühle gegen neue Kriegskredite. Zunächst blieb dieser Vorgang folgenlos. Doch im März 1916, nach einer weiteren Abstimmung im Reichstag, wurden die »abtrünnigen« Abgeordneten aus der Fraktion der SPD ausgeschlossen. Sie bildeten umgehend die »Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft« (SAG), verblieben aber innerhalb der Partei. Liebknecht, der bereits im Januar 1916 aus der Fraktion ausgeschlossen worden war, und Rühle, der ihm aus Solidarität gefolgt war, schlossen sich der SAG nicht an, weil die Mitglieder der »Arbeitsgemeinschaft« nicht bereit waren, zur revolutionären Beendigung des Krieges aufzurufen.

Nach einer Parteikonferenz am 21. September 1916 in Berlin eskalierte die Lage innerhalb der SPD: Der Parteivorstand, der nicht mehr die Mehrheit der Mitglieder vertrat, ging nun dazu über, den massenhaften Parteiausschluss von oppositionellen Mitgliedern, Vorständen und Organisationen zu betreiben. Die Gründung einer eigenen unabhängigen Partei wurde für die so Gemaßregelten nun zu einer zwingenden Notwendigkeit.

Der Gründung der USPD

Der Gründungsparteitag der USPD wählte Hugo Haase und Georg Ledebour  zu gleichberechtigten Vorsitzenden der neuen Partei. Statt eines Parteiprogrammes beschloss der Parteitag ein programmatisches »Manifest«, das in großen Teilen von Karl Kautsky verfasst worden war. Darin hieß es, dass sich die Opposition »eine einheitliche Organisation geschaffen [habe], um ihre Kräfte nicht zu verzetteln, sondern sie zu wuchtiger Beteiligung im Dienste des proletarischen Befreiungskampfes zusammenzufassen.« Dieser Kampf sei »durch die Politik der Regierungssozialisten, des Parteivorstandes ... und der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstages aufs schwerste geschädigt worden.« Allerdings verzichtete das »Manifest« explizit darauf, zu Massenaktionen aufzurufen. Stattdessen setzte man weiterhin auf »parlamentarische Betätigung« als dem »Hauptmittel des politischen Kampfes«, wie es Ledebour in seinem Referat betonte.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten war die Gründung der USPD eine richtige und notwendige Entscheidung. Nun gab es eine ernsthafte Alternative zur alten SPD und ihrer Politik des »Burgfriedens«. Aus diesem Grund schloss sich zunächst auch der Spartakusbund den »Unabhängigen« als selbständige und organisierte politische Kraft an. Die Trennung erfolgte erst eineinhalb Jahre später, in den Tagen der Novemberrevolution.

Letzte Änderung: 17. März 2017