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Ausgewählte Artikel - 2017
Disput - Februar 2017

Eine Möwe im Orbit

Am 6. März wird die erste Frau im Weltraum, Valentina Tereschkowa, 80 Jahre alt

Am 16. Juni 1963, um genau 12.29 Uhr Moskauer Zeit, hob das Raumschiff »Wostok 6« vom Kosmodrom Baikonur in der kasachischen Steppe ab. An Bord befand sich die 26 Jahre alte Valentina Tereschkowa, die erste Frau, die in den Weltraum fliegen sollte. Am Vortag war ihr Kollege Waleri Bykowski an Bord von »Wostok 5« gestartet. Die Raumschiffe verfügten über keine aktive Steuerung, doch auf der Grundlage einer exakten Berechnung der beiden Flugbahnen näherten sich die beiden Raumschiffe bereits wenige Stunden nach dem Start von Valentina Tereschkowa auf nur drei Kilometer an: Für kurze Zeit konnten so die »Möwe«, das war das Rufzeichen von Valentina Tereschkowa, und der »Habicht«, also Waleri Bykowski, miteinander sprechen, ohne dass das Funksignal einen Umweg über eine Relaisstation auf der Erde nehmen musste.

Bereits im Sommer 1961, wenige Wochen nach dem Flug von Juri Gagarin, war in der Sowjetunion damit begonnen worden, den Flug einer Frau in das Weltall vorzubereiten. Aus mehreren tausend Bewerberinnen wurden zunächst 58 Frauen ausgewählt, die in den folgenden Wochen und Monaten zahlreichen Tests und Prüfungen unterzogen wurden. Im Frühjahr 1962 blieben schließlich fünf Frauen übrig, die die zweite sowjetische Kosmonautengruppe bildeten und die nun die einjährige Vorbereitung auf den Raumflug begannen.

Zu diesem Zeitpunkt stand keineswegs fest, dass es tatsächlich Valentina Tereschkowa sein würde, die den historischen ersten Raumflug einer Frau unternehmen würde. Einige Kandidatinnen, so die Luftfahrtingenieurin und Flugzeugführerin Valentina Ponomarjowa oder auch die Weltrekordlerin im Fallschirmspringen Irina Solowjowa, schienen eher die erforderlichen Qualifikationen mitzubringen. Doch die Sympathien des sowjetischen Partei- und Regierungschefs Nikita Chrustschow für Valentina Tereschkowa gaben schließlich den Ausschlag: Sie verfügte nicht nur über hervorragende intellektuelle und körperliche Voraussetzungen für den Raumflug, die ehemalige Textilarbeiterin schien - nicht zuletzt wegen ihres Lebenslaufes - besonders geeignet, »die moderne sowjetische Frau« in der internationalen Öffentlichkeit zu repräsentieren. Tatsächlich hatte die am 6. März 1937 in einem winzigen Ort in der Oblast Jaroslawl geborene junge Frau bereits ein entbehrungs- und arbeitsreiches Leben hinter sich. Ihr Vater, ein Traktorist, fiel bereits in den ersten Wochen des Großen Vaterländischen Krieges. Ihre Mutter, eine ungelernte Fabrikarbeiterin, musste die drei Kinder allein durch die Jahre des Krieges bringen. Valentina Tereschkowa konnte erst mit zehn Jahren eingeschult werden. Nach Abschluss der Siebenklassenschule arbeitete sie zunächst als ungelernte Arbeiterin in einer Reifenfabrik. In der Abendschule holte die den Zehnklassenabschluss nach und absolvierte eine Lehre als Textilfacharbeiterin. Im Sommer 1960 beendete sie ein Fachschulstudium als Textiltechnologin. Trotzdem fand sie noch Zeit, sich im Komsomol, dem Kommunistischen Jugendverband, zu engagieren und sich dem Fallschirmsport zu widmen.

Am 19. Juni 1963, nach einem Raumflug von knapp 71 Stunden, landete Valentina Tereschkowa in der kasachischen Steppe. Niemand konnte wissen oder auch nur ahnen, dass fast 20 Jahre vergehen sollten, bis wieder eine Frau in das Weltall fliegen sollte. Denn noch gab es für Valentina Tereschkowa und die übrigen vier Frauen ihrer Gruppe große Pläne. So sollte sich an Bord von »Woschod 4« eine dreiköpfige, rein weibliche Besatzung befinden. Doch nach dem frühen Tod von Sergej Koroljow, dem »Vater der sowjetischen Raumfahrt«, im Januar 1966 fehlte ein einflussreicher Befürworter der »weiblichen« Raumfahrt. Im Mai 1966 wurde der Flug von »Woschod 4« abgesagt, im Herbst 1969 wurde die Frauengruppe aufgelöst.

Am 3. November 1963 heiratete Valentina Tereschkowa den Kosmonauten Andrijan Nikolajew, der im Jahr zuvor an Bord von »Wostok 3« in das Weltall geflogen war. Im Westen war sofort von einer »Ehe im Parteiauftrag« die Rede, und als wenige Monate später die gemeinsame Tochter Jelena geboren wurde, wurde sogar behauptet, dass es sich um ein »medizinisches Experiment« handeln würde. Doch es war eine Liebeshochzeit, Valentina Tereschkowa und Andrijan Nikolajew hatten bereits mehr als ein Jahr ohne Trauschein als Mann und Frau zusammengelebt. Erst 1982 ließen sie sich scheiden. Die Tochter Jelena ist inzwischen selbst Mutter und Großmutter und arbeitet seit vielen Jahren als Chirurgin in einem Moskauer Krankenhaus.

Auch in den Jahren nach ihrem historischen Flug blieb Valentina Tereschkowa der Raumfahrt verbunden. Sie studierte an der Shukowski-Ingenieurakademie der sowjetischen Luftstreitkräfte und erwarb einen Doktorgrad. Sie war beteiligt an der Vorbereitung des Raumfluges von Swetlana Sawizkaja, die am 19. August 1982 an Bord von »Sojus T-7« als zweite Frau in der Geschichte einen Raumflug unternahm. Erst 1997, mit 60 Jahren, wurde Valentina Tereschkowa mit dem Dienstgrad eines Generalmajors der Russischen Luftstreitkräfte in den Ruhestand versetzt.

Mit der Wahl in den Obersten Sowjet der UdSSR im Mai 1966 begann Valentina Tereschkowa eine Laufbahn als Politikerin, die sie auch nach dem Ende der Sowjetunion fortsetzte. So war sie von 1994 bis 2004 Leiterin des »Russländischen Zentrums für internationale kulturelle und wissenschaftliche Zusammenarbeit«. Und auch in ihrem achten Lebensjahrzehnt ist Valentina Tereschkowa noch immer politisch aktiv: Seit vielen Jahren gehört sie als Abgeordnete der Partei »Einiges Russland« dem Regionalparlament von Jaroslawl an. Zuletzt wurde sie am 16. September 2016 wiedergewählt.

Am 6. März wird Valentina Tereschkowa 80 Jahre. Auch von dieser Stelle herzlichen Glückwunsch.

Letzte Änderung: 17. Februar 2017