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Ausgewählte Artikel - 2017
neues deutschland - 4. Februar 2017

Die treueste aller Schwestern

Vor 40 Jahren, am 27. Januar 1977, starb Minna Ewert, die Schwester des langjährigen KPD- und Komintern-Funktionärs Arthur Ewert (1890-1959), im Alter von fast 89 Jahren in einem Potsdamer Pflegeheim, das nicht zufällig »Olga Benario Prestes« hieß

Minna Ewert war eine einfache und zugleich außergewöhnliche Frau. Sie war – und dieses Bild ist ohne Frage angemessen – eine moderne Antigone. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass ihr Tun nicht dem toten Körper ihres Bruders galt, sondern der Rettung seines Lebens. Gerhart Eisler, der langjährige Freund Arthur Ewerts, fand eine anrührende Beschreibung: Er nannte Minna Ewert die »treueste aller Schwestern«.

Minna Ewert wurde am 8. März 1888 als Älteste von sechs Geschwistern in der Familie eines verarmten Kleinbauern in Ostpreußen geboren. Sie verließ früh ihren Heimatort, um einen Beruf zu erlernen: Im Sophienhaus in Weimar und in einer Klinik der Universität Jena erhielt sie eine Ausbildung als Krankenschwester. In diesem Beruf arbeitete Minna Ewert zeit ihres Lebens, zum Teil in öffentlichen Einrichtungen, zum Teil als Privatpflegerin.

Anfang der zwanziger Jahre wurde sie unter dem Einfluss ihres Bruders Mitglied der KPD. Nur geschützt durch ihre Schwesterntracht unternahm sie wiederholt gefährliche Kurierfahrten durch halb Europa. Besonders pikant: In dieser Zeit arbeitete sie, vermittelt durch Freunde, als Pflegerin im Haushalt von Eduard Bernstein, dem Begründer des theoretischen Revisionismus innerhalb der SPD, der selbstverständlich nichts von ihrer Parteizugehörigkeit erfuhr.

Ihre wenige Freizeit nutzte Minna Ewert, um sich politisch weiterzubilden. Im hohen Alter schrieb sie an einen Freundin: »Was brachten meine Geschwister und ich aus der Dorfschule für das Leben mit? Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat! Und vertraut auf Gott, er wird alles zum Besten lenken. Jede Woche trafen wir uns einmal bei einem jungen Arbeiter und lasen ›Das Kapital‹. Unsere Köpfe, nie ausgebildet zum selbständigen Denken, hatten es schwer. … So gab es Tausende, die lernten, kämpften, starben und weiterlebten. Sie waren kein unorganisierter Haufen, sie waren die Partei.«

Am 30. August 1932 begleitete sie die kranke Clara Zetkin, als diese als Alterspräsidentin den neugewählten Reichstag eröffnete und dabei eindringlich vor der unmittelbar drohenden Gefahr einer faschistischen Diktatur in Deutschland warnte.

Nach der Machtübergabe an Hitler und die Nazipartei blieb Minna Ewert zunächst in Deutschland. Als sie Anfang 1936 von der Verhaftung ihres Bruders und seiner Frau Elise in Brasilien erfuhr, ging sie nach Paris, um sich dort der internationalen Kampagne für die Freilassung der politischen Gefangenen in Brasilien anzuschließen: Nach einem gescheiterten Aufstand im November 1935 hatte Staatspräsident Getúlio Vargas in dem südamerikanischen Land eine Welle des Terrors entfesselt, dem zehntausende Menschen, unter ihnen Luis Carlos Prestes und seine Frau, die deutsche Kommunistin Olga Benario, zum Opfer fielen.

Minna Ewert, die Krankenschwester, die nie im Licht der Öffentlichkeit gestanden hatte, sprach auf zahllosen Kundgebungen diesseits und jenseits des Atlantiks. Wo immer sie konnte, motivierte sie einflussreiche Menschen, sich für das Schicksal ihres Bruders, der in der brasilianischen Haft durch die fürchterliche Folter den Verstand verloren hatte, und seiner Leidensgefährten zu interessieren. In Großbritannien befasste sich das Parlament mit der Lage in Brasilien, nachdem ein Leserbrief von Minna Ewert in der »Times« für Aufsehen gesorgt hatte. Ein Telegramm, das sie an US-Präsident Franklin D. Roosevelt richtete, veranlasste das US-Außenministerium, sich in Brasilien offiziell nach Arthur Ewert zu erkundigen. In Washington sprach sie den brasilianischen Außenminister auf offener Straße an und forderte ihn zum Handeln auf.

Minna Ewert wurde US-Bürgerin, weil sie nur so ein Visum für einen Besuch bei ihrem Bruder erhalten konnte, der im Mai 1945 endlich aus der Haft entlassen worden war. Im Sommer 1947, nach fast zwölf Jahren Kampf, gelang es ihr, Arthur Ewert nach Berlin zu bringen.

Bis weit über das Rentenalter hinaus arbeitete sie in den folgenden Jahren wieder in ihrem erlernten Beruf als Krankenschwester und bildete dabei junge Menschen aus. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Minna Ewert als Patientin in einem Potsdamer Pflegeheim, das den Namen »Olga Benario Prestes« trug. Dort starb sie am 27. Januar 1977 hochgeachtet im Alter von fast 89 Jahren.

Der Autor Till Sailer hat Minna Ewert übrigens schon vor vielen Jahren ein literarisches Denkmal gesetzt. Für den Rundfunk der DDR schrieb er 1979 das eindrucksvolle Hörspiel »Die Schwester«, das zusammen mit anderen Manuskripten inzwischen auch als Buch erschienen ist. (Till Sailer, Ein unsichtbares Feuer, Berlin 2007)

Letzte Änderung: 4. Februar 2017