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Ausgewählte Artikel - 2017
Disput - Mai 2017

Der Marshallplan

Vor siebzig Jahren, im Mai 1947, begannen die Verhandlungen über das European Recovery Program

Am 12. März 1947 wandte sich Präsident Harry S. Truman mit einer Rede an beide Häuser des US-amerikanischen Kongresses. Seit den Zwischenwahlen im November 1946 befand er sich in der wenig komfortablen Situation, mit einem Parlament regieren zu müssen, in dem die Republikaner in beiden Häusern über die Mehrheit der Sitze verfügten. Doch bei dem Thema, das er an diesem Tag ansprechen wollte, konnte sich der als Demokrat firmierende Truman sicher sein, auch aus dem Lager der Republikaner die volle politische Unterstützung zu erhalten.

Truman war knapp zwei Jahre zuvor, nach dem plötzlichen Tod von Präsident Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945, in das höchste Staatsamt der USA aufgestiegen, ohne wirklich auf die Verantwortung vorbereitet gewesen zu sein, die sich mit dieser Aufgabe verband. So war er erst drei Wochen nach seinem offiziellen Einzug in das »Oval Office« darüber informiert worden, dass die USA seit mehreren Jahren an einem Projekt zur Entwicklung und zum Bau einer Atombombe arbeiteten. Doch im August 1945 befahl Truman bedenkenlos den nuklearen Massenmord von Hiroshima und Nagasaki.

Zwei Jahre später befand sich Truman noch immer auf der Suche nach seiner »Mission«. Als er an jenem 12. März 1947 vor dem Kongress sprach, ging es ihm zunächst nur um die Bewilligung von 400 Millionen US-Dollar, die als Militär- und Wirtschaftshilfe an Griechenland und die Türkei weitergereicht werden sollten. Denn dort, so die offizielle Lesart der US-Regierung, bedrohte der »sowjetische Expansionismus« die »freie Welt« in ganz besonderem Maße. Doch Truman ging mit seinen »Überlegungen« weit über die Frage der Entwicklung in Griechenland und der Türkei hinaus. Er konstatierte eine unversöhnliche Teilung der Welt in zwei feindliche Lager, und er forderte die USA auf, den Staaten und Völkern der »freien Welt« vor allem finanzielle und wirtschaftliche Hilfe zu leisten, um die »Freiheit« zu verteidigen und um den internationalen Kommunismus, geführt von der Sowjetunion, »einzudämmen«. Tatsächlich erhielt Truman nicht nur die Zustimmung zur Finanz- und Wirtschaftshilfe für Griechenland und die Türkei, die von ihm in seiner Rede geforderte und verkündete Politik der »Eindämmung des Kommunismus«, des »Containment«, wurde als »Truman-Doktrin« für mehr als zwei Jahrzehnte zur bestimmenden Grundlage der US-amerikanischen Außenpolitik.

Das wichtigste, zumindest aber das propagandistisch wirksamste nichtmilitärische Instrument des US-amerikanischen »Feldzuges gegen den Kommunismus« wurde das European Recovery Program, der Marshall-Plan, benannt nach dem damaligen US-Außenminister George C. Marshall, in dessen Zuständigkeit der Plan entwickelt und verhandelt wurde.

Vordergründig ging es den beteiligten Politikern und Diplomaten darum, der noch immer unter den Folgen des Zweiten Weltkriegs notleidenden Bevölkerung in Europa umfassende Hilfe zukommen zu lassen. Doch die wirklichen Motive waren weniger edelmütig: Der US-amerikanischen Wirtschaft sollten langfristig stabile Investitionsmöglichkeiten in Übersee verschafft werden, und es sollte ein aufnahmefähiger Absatzmarkt für Produkte der US-amerikanischen Industrie erschlossen werden, die auch zwei Jahre nach Kriegsende noch nicht wieder auf Friedensproduktion zurückgefahren worden war und der deshalb eine langanhaltenden Überproduktionskrise drohte. (Die »Luftbrücke« nach Westberlin vom Juni 1948 bis zum Mai 1949 wirkte für die US-Luftfahrtindustrie wie ein Konjunkturprogramm.) Doch es ist unbestritten, dass die Zahlungen und Warenlieferungen tatsächlich dazu beitrugen, Not und Elend im kriegsverwüsteten Europa zu mindern, und mit dem daraus resultierenden wirtschaftlichen Aufschwung verloren die kommunistischen Parteien in Westeuropa. insbesondere in Frankreich und Italien, deutlich an Rückhalt und Einfluss in der Bevölkerung.

Im Mai 1947 begannen die ersten vorbereitenden Verhandlungen, im Juni 1947 fand die erste internationale Konferenz über die Ausgestaltung und Umsetzung des Marshall-Planes statt. Zu dieser Konferenz waren auch die Sowjetunion und die Staaten in ihrem Machtbereich eingeladen worden. Doch angesichts der klar antisowjetischen Stoßrichtung, die sich auch darin zeigte, dass nur Staaten mit einer »marktwirtschaftlichen« Ordnung in den Genuss von Leistungen aus dem Marshall-Plan kommen sollten, lehnte die Sowjetunion eine Teilnahme ab, was in der gegebenen Konstellation auch für die übrigen »Volksdemokratien« galt.

Zwischen 1948 und 1952 stellten die USA im Rahmen des Marshall-Planes etwa 14 Milliarden US-Dollar (heute etwa 130 Milliarden US-Dollar) in Geld und waren zur Verfügung, etwa zehn Prozent davon gingen nach Westdeutschland. Sie wurden dort zu einem wichtigen Faktor für das bis heute gefeierte – und verklärte – »Wirtschaftswunder« der 1950er Jahre.

Letzte Änderung: 22. Mai 2017