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Ausgewählte Artikel - 2016
Disput - April 2016

Vereinigung

Vor 70 Jahren entstand durch den bis heute umstrittenen Zusammenschluss von KPD und SPD die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

Kaum ein anderes Ereignis in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist bis heute so umstritten wie die Gründung der SED vor nunmehr 70 Jahren, auch wenn sich die Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit vor allem um die pauschale Verurteilung der DDR als »Unrechtsstaat« drehen.

Die Frage nach dem Charakter dieser Parteigründung am 21. und 22. April 1946 in (Ost-) Berlin war dabei von Anfang an Gegenstand einer in erster Linie politisch motivierten Auseinandersetzung, bei der für eine historische Betrachtung – unter umfassender Berücksichtigung von Zeit, Ort und Bedingungen in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit – zwangsläufig nur sehr wenig Raum blieb. Es standen und stehen sich bis heute zwei unversöhnliche Lager gegenüber.

Für die eine Seite war die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien die notwendige, richtige und in gewisser Weise unvermeidliche Konsequenz aus den zwölf Jahren der faschistischen Diktatur in Deutschland, die durch die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung nicht verhindert und – wohl schwerwiegender noch – nicht aus eigener Kraft überwunden werden konnte. Die Wiederherstellung der Einheit der Arbeiterbewegung beendete in ihrem Verständnis einen »unnatürlichen« Zustand, der seinen Anfang 1914 mit der Zustimmung der SPD-Führung zu den Kriegskrediten genommen hatte.

Für die andere Seite war der Zusammenschluss zur SED ausschließlich eine »Zwangsvereinigung«, das sinistre Werk der sowjetischen Besatzungsmacht und ihrer willfährigen Gefolgsleute in der KPD mit dem Ziel, die SPD als politischen Faktor der Nachkriegsentwicklung dauerhaft auszuschalten und so in Deutschland die Errichtung eines Herrschaftssystems nach sowjetischem Vorbild zu ermöglichen.

Dass die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Zone, also in Ostdeutschland, massiv Einfluss auf den Einigungsprozess nahm und dass es dabei auch zu Fällen von Zwang und Gewalt – nicht nur gegen Gegner der Einheit innerhalb der SPD, sondern auch innerhalb der KPD –  kam, steht außer Frage. Doch zu bedenken ist auch: Keine Zwangsmaßnahme hätte weit mehr als eine Million Menschen veranlassen können, Mitglied einer Partei zu werden oder zu bleiben, die sie grundsätzlich ablehnten. Und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Einigungsprozess bereits seinen Anfang genommen hatte, als man in Moskau noch ausschließlich auf die KPD setzte und daher keine Notwendigkeit für einen Zusammenschluss von KPD und SPD sah, um in ganz (!) Deutschland eine antifaschistisch-demokratische Umgestaltung – in Übereinstimmung mit den Zielen der Anti-Hitler-Koalition, wie sie im August 1945 im Potsdamer Abkommen festgelegt worden waren – durchzuführen: Angesichts der entsetzlichen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg hatten sich Kommunisten und Sozialdemokraten in vielen Teilen Deutschlands bereits in den ersten Nachkriegstagen aus eigenem Entschluss in antifaschistischen Ausschüssen zusammengefunden, um durch gemeinsame Arbeit ihren Beitrag zum Aufbau eines neuen Lebens zu leisten.

Auch die Westalliierten setzten die ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel ein, um in den westlichen Besatzungszonen ihre politischen Ziele und Interessen durchzusetzen: Für sie ging es darum, die Vereinigung von KPD und SPD unbedingt zu verhindern. Dabei fanden sie in jenen Teilen der SPD entschiedene und auch einflussreiche Unterstützer, die keinen wirklich neuen Anfang in Deutschland wollten, sondern bestenfalls eine Neuauflage der bürgerlichen Weimarer Republik anstrebten. Ihr – vorgeschobenes – Argument gegen den Zusammenschluss der beiden Arbeiterparteien war die angebliche Sorge, dass die Kommunisten die Einheitspartei dominieren würden. Doch bei einem Mitgliederverhältnis von 60 zu 40, wie es 1945/46 bestand, wäre die Kommunisten in allen Besatzungszonen in der Minderheit gewesen. Und auch die unterstellte Gefahr einer ausschließlichen Beherrschung und Instrumentalisierung der neuen Partei durch die sowjetische Besatzungsmacht hätte bei einem tatsächlich deutschlandweiten Zusammenschluss von KPD und SPD nicht bestanden.

Doch für eine gesamtdeutsche sozialistische Einheitspartei, die weder ausschließlich kommunistisch noch ausschließlich sozialdemokratisch war, war unter den Bedingungen des gerade begonnenen Kalten Kriegs, erinnert sei an die berüchtigte Rede Winston Churchills am 5. März 1946 im US-amerikanischen Fulton, kein Platz.

Die weitere Entwicklung war vorhersehbar: Bereits im Herbst 1946 begann der Prozess der schrittweisen Stalinisierung der SED, die eine auf die Sowjetische Besatzungszone und später die DDR beschränkte Partei blieb. Ab 1948 stand die Umwandlung in eine »marxistisch-leninistische Partei neuen Typs« auf der politischen Tagesordnung. So wurde beispielsweise die bis dahin praktizierte Parität in der Besetzung aller Parteifunktionen bereits 1949 wieder aufgegeben. Sozialdemokratisches Denken und Handeln galten fortan als parteifeindlich. Viele Deformationen der nachfolgenden Jahre, die 1989 zum Scheitern des sozialistischen Versuchs in der DDR führten, hatten in diesem Parteiverständnis ihre Wurzeln.

Letzte Änderung: 20. April 2016