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Ausgewählte Artikel - 2016
Arbeit – Bewegung – Geschichte - Juni 2016

Eine spürbare Kraft

Rezension zu: Simon Loidl, Eine spürbare Kraft. Österreichische KommunistInnen im US-amerikanischen Exil (1938-1945), Promedia, Wien 2015

Möglicherweise glaubt der Verfasser des hier zu besprechenden Buches, durch den regelmäßigen Gebrauch des durch und durch unsympathischen - und überflüssigen - Binnen-I sich »politisch korrekt« zu verhalten. Doch tatsächlich läuft er damit Gefahr, daß sein Buch, wie alle »gegenderten« Texte, durch diese Mißhandlung der deutschen Sprache von vornherein in die Kategorie »uninteressant« und »überflüssig« einsortiert wird. Und das hat sein Buch, trotz einiger gravierender inhaltlicher und methodischer Mängel, keineswegs verdient.

Wesentliche Grundlage des vorliegenden Buches sind die Bestände des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands (DÖW) und die im Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien in Kopie aufbewahrten einschlägigen Akten des US-amerikanischen Office for Strategic Studies (OSS), das während des Zweiten Weltkriegs eine maßgebliche Rolle bei der Formulierung der politischen und militärischen Ziele der USA für die Kriegs- und Nachkriegszeit spielte.

Akten des US-Bundespolizei FBI wurden vom Autor hingegen nicht ausgewertet, sie waren ihm nicht einmal eine Erwähnung wert. Und das, obwohl es gerade das FBI war, das mit großem personellem und materiellem Aufwand die Überwachung antifaschistischer Flüchtlinge in den USA betrieb. Es bleibt offen, ob sich der Autor überhaupt um Zugang zu diesen Akten bemühte.

Doch es ist eher anzunehmen, daß er eine Befassung mit diesen Akten, aus welchen Gründen auch immer, für nicht relevant hielt. Denn nur so wäre zu erklären, warum er in der Sekundärliteratur, die für den Autor offensichtlich wichtiger war als die Nutzung von Primärquellen, wichtige Autoren und Publikationen - wie zum Beispiel Alexander Stephan und sein bereits zu einem Standardwerk gewordenes Buch aus dem Jahr 1995 »Im Visier des FBI. Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste« - nicht aufführte.

Es ist allerdings auch möglich, und durchaus wahrscheinlich, daß der Autor diese Publikation - und andere - zwar kannte, aber mit Vorsatz und mit voller Absicht nicht in sein Literaturverzeichnis aufnahm. Denn er vermeidet es Seite für Seite beinahe krampfhaft, die Existenz eines deutschen antifaschistischen Exils in den USA, egal ob kommunistisch oder bürgerlich-demokratisch, auch nur zu erwähnen.

Unter dem impliziten Axiom eines Bestehens und Fortbestehens einer österreichischen Nation auch nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland im März 1938 widmet er sich seinem Thema, ohne auch nur einen Gedanken oder gar einen Satz daran zu verschwenden, daß österreichische und deutsche Antifaschisten auch im (US-amerikanischen Exil) gemeinsame Ziele und Interessen hatten und daß es daher durchaus in nicht wenigen Fällen auch ein gemeinsames politisches Handeln gab. Es sei nur daran erinnert, daß der langjährige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs Johann Koplenig in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre de facto Mitglied der Auslandsleitung der KPD war, die bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs in Paris arbeitete, oder daß der in Österreich aufgewachsene und sozialisierte deutsche Kommunist Gerhart Eisler in den USA seit dem Sommer 1941 eine bedeutende politisch-publizistische Arbeit leistete, in der es zahlreiche Berührungspunkte zu den Anliegen der österreichischen Kommunisten in den USA gab.

Der Autor gliedert seine Arbeit in fünf hauptsächliche Kapitel, die vor allem Übersichtscharakter haben und nur in wenigen Fällen eine detailliertere Behandlung der geschilderten Ereignisse beinhalten.

Einleitend (S. 13 ff.) befaßt sich der Autor mit Geschichte, Stand und Perspektiven der Exilforschung, naturgemäß konzentriert er sich auf Arbeiten aus Österreich. Überlieferungen durch »Oral History« und die Nutzung autobiographischer Quellen stellen für ihn dabei einen Schwerpunkt dar.

Das folgende Kapitel (S. 33 ff.) ist ein Abriß des österreichischen kommunistischen Exils zwischen 1933 und 1945, wobei der Schwerpunkt seiner Betrachtung zunächst auf dem Exil in der Sowjetunion und in Großbritannien liegt. In diesem Kapitel wird auch die Rolle des Exils für den - unterstellten, aber nicht wirklich belegten - Fortbestand der österreichischen Nation diskutiert (S. 49 ff.).

Ein weiteres Kapitel (S. 59 ff.) ist der Darstellung der USA als Exilland gewidmet. Es wird deutlich, daß antifaschistische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen und geographischen Herkunft, auch nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 von offizieller Regierungsseite bestenfalls geduldet, keinesfalls aber als potentielle oder tatsächliche Verbündete betrachtet und behandelt wurden.

Den naturgemäß größten Raum nimmt das Kapitel (S. 79 ff.) über österreichische Kommunisten im US-amerikanischen Exil ein. Der Autor beschreibt zunächst den eher zufälligen Charakter der österreichischen kommunistischen Emigration in die USA (und übergeht dabei, kaum überraschend, daß auch deutsche Kommunisten unter den exakt selben Bedingungen, zum Teil gemeinsam mit Österreichern, in die USA gelangten). Dann unternimmt er den Versuch, den Platz österreichischer Kommunisten im breitgefächerten antifaschistischen Exil in den USA zu verorten. Er deutet an, daß es sich bei den österreichischen kommunistischen Emigranten um eine zahlenmäßig sehr kleine Gruppe handelte, die zudem über das ganze Land verstreut war, ohne jedoch den Versuch zu unternehmen, den Umfang dieser Gruppe genauer zu quantifizieren. An mehreren Beispiel macht er deutlich, daß es vor allem das individuelle Handeln einzelner Persönlichkeiten war, durch die die österreichische kommunistische Emigration auch im historischen Rückblick bleibende Bedeutung erhielt. Beispielhaft seien hier Mitja Rapoport und Otto Langer genannt, denen der Autor eigene Unterkapitel (S. 157 ff.) widmet.

Im abschließenden Kapitel (S. 171 ff.) geht es um die Frage der Remigration. Der Autor stellt zunächst fest, daß es zu diesem Thema über viele Jahre hinweg kaum Forschung gegeben hat, um dann zu konstatieren, daß überhaupt nur sehr wenige emigrierte Österreicher nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in ihre frühere Heimat zurückkehrten. Die Ursachen dafür sieht der Autor in den konkreten innenpolitischen und wirtschaftlichen Verhältnissen der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich. Daß es vor allem Kommunisten waren, die - im Gegensatz zur übergroßen Mehrheit der bürgerlichen Emigranten - ab dem Frühsommer 1945 den USA den Rücken kehrten und einen Neuanfang in Österreich suchten, begründet er vor allem mit der zunehmenden politischen Verfolgung von Kommunisten in den USA, die einen vorläufigen Höhepunkt in der McCarthy-Ära erreichte.

Es bleibt abschließend zu erwähnen, daß die Herausgabe des Buches vom Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und vom Zukunftsfonds der Republik Österreich gefördert wurde.

Letzte Änderung: 9. Juni 2016