www.ronald-friedmann.de
Ausgewählte Artikel - 2016
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform - August 2016

Deutsche Interessen am Hindukusch und andernorts

Die Bundeswehr im Auslandseinsatz

»Transparenz nach innen und außen«, so kann man es im »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr«(1) nachlesen, das die Bundesregierung am 13. Juli 2016 vorgelegt hat, habe »den Rang eines strategischen Prinzips.« Tatsächlich wird in dem Papier mit bemerkenswerter Offenheit von den weltweiten deutschen Interessen gesprochen, die es zu schützen und zu verteidigen gelte. Die deutsche Wirtschaft sei, so wird mit Nachdruck festgestellt, »auf gesicherte Rohstoffzufuhr und sichere internationale Transportwege angewiesen.«

Und genau so offen wird der deutsche Anspruch formuliert, weltweit eine politisch-militärische Führungsrolle spielen zu wollen. Doch bei der nachfolgenden Begründung dieses Anspruchs wird von den »deutschen Interessen« lautstark geschwiegen. Deutschland, so wird vielmehr behauptet, trage auf Grund seiner »wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung« angeblich eine besondere »Verantwortung« in der internationalen Arena. Es werde »zunehmend als zentraler Akteur in Europa wahrgenommen«. Und stünde daher in der Pflicht, »die globale Ordnung aktiv mitzugestalten.«

Das sind deutliche, aber keineswegs neue Töne. Bereits in den Tagen und Wochen vor der deutschen »Wiedervereinigung« am 3. Oktober 1990 begann in führenden Kreisen der Bundesrepublik eine nachdrücklich geführte Debatte über eine künftige, weltweite Rolle der Bundeswehr. Zunächst ging es nur um die Frage, ob die deutschen Streitkräfte überhaupt außerhalb des Nato-Gebietes, also in sogenannten Out of area-Missionen, eingesetzt werden sollten. Wenig überraschend gab es bei Union und FDP von Anfang an eine uneingeschränkte Unterstützung für diese Idee, während sich SPD und Grüne zunächst noch ablehnend zeigten. Die SPD vollzog ihre Wende 1992 mit den Petersburger Beschlüssen, die Grünen zierten sich noch etwas länger. Sie erklärten ihre grundsätzliche Zustimmung zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Vorfeld der Bundestagswahlen von1998 und stellten damit – nach übereinstimmender Auffassung der veröffentlichten Meinung – endgültig ihre bundespolitische »Regierungsfähigkeit« unter Beweis. So war die damalige PDS die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die sich konsequent jeder Militarisierung der Außenpolitik und damit auch Auslandseinsätzen der Bundeswehr widersetzte.

Zäsur Kosovo-Krieg

Tatsächlich gab es bereits zwischen 1990 und 1996 verschiedene kleinere Auslandseinsätze der Bundeswehr, die durch Mandate der Vereinten Nationen gedeckt waren. Doch die große Zäsur kam erst mit dem Jahr 1999 und dem Kosovo-Krieg: Unter der verlogenen Behauptung einer »humanitären Intervention« beteiligte sich die Bundeswehr, auf Weisung einer rotgrünen Bundesregierung, an einem Angriffskrieg der Nato gegen Jugoslawien, für den es kein Mandat der Vereinten Nationen gab. Tausende Menschen fielen den Bombardements zum Opfer, an denen auch Flugzeuge der Bundesluftwaffe in großer Zahl beteiligt waren. Zehntausende wurden verwundet.

Nur zwei Jahre später, im Herbst 2001, begann der Afghanistan-Krieg, die hilflose Reaktion der US-Regierung unter Präsident George W. Bush auf die Terrorakte vom 11. September. Bereits am 16. November 2001 ließ der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder, unterstützt von seinem grünen Außenminister Joseph Fischer,  im Bundestag über den »Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA« abstimmen. Da Schröder das Votum über den Kriegseinsatz der Bundeswehr mit der Vertrauensfrage verband, konnte er sicher sein, von seiner Koalition die erforderliche Mehrheit für die deutsche Teilnahme am Krieg zu erhalten. Nur einen Monat später, am 22. Dezember 2001, wurde im Bundestag auch über die »Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen«, so der offizielle Titel des Antrages der Bundesregierung, entschieden.

Bezeichnend war, dass es für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan weder klar formulierte politische Ziele noch ein – im Grunde zwingend erforderliches – »Ausstiegsszenarium« gab. Die Bush-Administration in Washington wollte den Krieg, und die Bundesregierung gehorchte. Sie wollte Deutschland als »verlässlichen Partner« in der Nato präsentieren und sich so langfristig einen Platz am Tisch der großen weltpolitischen Spieler sichern.

Die Bundeswehr im Afghanistan-Krieg

Insgesamt dauert das »Engagement« der Bundeswehr in Afghanistan, so die offiziöse und schon deshalb euphemistische Umschreibung für den Kriegseinsatz, inzwischen fast fünfzehn Jahre. Und ein Ende ist nicht abzusehen, obwohl die Nato-geführte ISAF-Mission, also der Einsatz der »Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe«, offiziell zum 31. Dezember 2014 beendet wurde. Zuletzt hat der Bundestag im Dezember 2015 mit großer Mehrheit einer Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes zugestimmt. Die Stimmen kamen aus allen Fraktionen, mit Ausnahme der LINKEN.

Die Mission in Afghanistan war und ist der bisher größte Kampfeinsatz der Bundeswehr im Ausland. Zeitweise waren bis zu 5.000 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert. Nach vorsichtigen Schätzungen betragen die Kosten bereits jetzt mehr als sechs Milliarden Euro. Kaum zu kalkulieren sind die Auswirkungen des jahrzehntelangen Krieges auf die afghanische Zivilbevölkerung: Zehntausende Tote und Verwundete, zerstörte Städte und Dörfer, ein kaum noch funktionierender Regierungsapparat. Dass Deutschland dafür eine Mitverantwortung trägt, kann nicht wirklich geleugnet werden. Erinnert sei nur an den von einem hochrangigen Offizier der Bundeswehr befohlenen Luftangriff auf zwei entführte Tanklastwagen in der Provinz Kundus im September 2009, bei dem mehr als hundert unbeteiligte Zivilisten, unter ihnen viele Kinder, den Tod fanden. Weder prüften deutsche Gerichte, ob es sich bei dem Angriffsbefehl um ein Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung nach Artikel 8 (Absatz 2b) des Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs handelte, noch wurde den Überlebenden des Luftangriffes eine – und sei es symbolische –  Entschädigung gewährt.

So ist es nicht wirklich verwunderlich, dass  der Einsatz im Afghanistan im neuen »Weißbuch« nahezu vollständig verschwiegen wird: Nur zweimal ist in dem fast achtzig Seiten umfassenden Dokument von Afghanistan die Rede.

Zunächst wird ohne jeden Beweis behauptet, dass »Stabilisierungseinsätze der Allianz [also der Nato – R.F.], zum Beispiel in Afghanistan und auf dem Balkan, […] ein langfristiges und verlässliches Engagement erfordern, um Stabilisierungsfortschritte zu erhalten und zu verstetigen«. Eine kaum verhüllte Drohung also, dass auch in Zukunft Auslandseinsätze der Bundeswehr immer wieder um Jahre verlängert werden könnten, auch wenn es keine realistische Chance gibt, die erklärten Ziele überhaupt zu erreichen.

Dann aber wird erneut die angebliche »deutsche Verantwortung« strapaziert: »Mit der Wiedererlangung der vollen nationalen Souveränität [veränderte sich] die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt. Es wurde deutlich, dass Deutschland die gleichen Rechte, Pflichten sowie Verantwortung im internationalen System zukommen wie anderen Staaten. Die Einsätze, insbesondere in Afghanistan, wurden zunehmend robuster […]. Die Bundeswehr wurde zur ›Armee im Einsatz‹.«

Doch eine wirkliche Bilanz fehlt. Kein Wort über die Opfer, die Kosten und die Auswirkungen des Einsatzes in Afghanistan, nicht zuletzt auf die Bundeswehr selbst. Denn die fünfzehn Jahre Kriegseinsatz haben auch und gerade die Bundeswehr gründlich verändert: Aus einer Armee für die Landesverteidigung, wie sie bis heute im Artikel 87a des Grundgesetzes behauptet wird, wurde eine Interventionstruppe, die weltweit operieren soll und bereits weltweit operiert.

Ausblicke

Seit Monaten geistert die Zahl von 300 Milliarden Euro durch die Medien, die die zuständige Ministerin Ursula von der Leyen in den nächsten Jahren für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgeben will. Doch hinsichtlich konkreter Vorhaben und Projekte bleibt das »Weißbuch« erstaunlich vage. Zwar widmet sich der gesamte zweite Teil der »Zukunft der Bundeswehr«, doch haben sich die Autorinnen und Autoren auch hier auf Gemeinplätze beschränkt: »Die stärkere Akzentuierung von Landes- und Bündnisverteidigung einschließlich der Abschreckung – insbesondere an der Peripherie der Allianz – verlangt von der Bundeswehr, ihre Einsatzorientierung auf diese anspruchsvolle Aufgabe und die hierzu notwendige Vorbereitung zu erweitern. Hieraus resultierende Verpflichtungen und Maßnahmen haben mit den jüngsten sicherheitspolitischen Veränderungen eine neue Dimension erreicht. Sie werden absehbar verstärkt die Fähigkeiten der Bundeswehr in der gesamten Bandbreite fordern.«

Allerdings lassen bereits diese wenig konkreten Aussagen Schlimmes befürchten. Die Bundeswehr wird als Eingreiftruppe – für weltweite Einsätze wie in Afghanistan – weiterentwickelt werden. Auch und vor allem die konventionelle Aufrüstung mit Panzern und anderen  Waffen für einen möglichen Landkrieg in Osteuropa wird weitergehen. Eine klare Drohung gegen Rußland. Kapazitäten für den Krieg im Cyberraum werden geschaffen. Und schließlich wird der einheimischen Rüstungsindustrie eine besondere Förderung zuteil werden.

Im März 2004 sprach der damalige sozialdemokratische Verteidigungsminister Peter Struck davon, dass Deutschlands Sicherheit »auch am Hindukusch« verteidigt werde. Und er verstieg sich zu der Behauptung, die Bundeswehr sei die »die größte Friedensbewegung Deutschlands«.(2) Nichts könnte falscher sein.

Anmerkungen

(1)   Das »Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr« kann als barrierefreie PDF-Datei von den Seiten des Bundesministeriums für Verteidigung unter www.bmvg.de heruntergeladen werden.

(2)   www.spiegel.de/politik/deutschland/struck-verteidigt-reform-bundeswehr-ist-die-groesste-friedensbewegung-deutschlands-a-289999.html

Letzte Änderung: 9. August 2016