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Ausgewählte Artikel - 2015
Disput - Dezember 2015

Spartakus

Vor 100 Jahren, am 2. Januar 1916, fand in Berlin die erste Reichskonferenz der »Gruppe Internationale« statt

Am Abend des 4. August 1914, unmittelbar nach der Zustimmung der Reichstagsfraktion der SPD zu den Kriegskrediten, lud Rosa Luxemburg einige enge politische Freunde – Hermann Duncker, Hugo Eberlein, Julian Marchlewski, Franz Mehring, Ernst Meyer und Wilhelm Pieck – in ihre Wohnung ein, um das weitere Vorgehen zu beraten. Der »Gruppe Internationale«, die an diesem Abend entstand, schlossen sich in den folgenden Tagen mit Martha Arendsee, Fritz Ausländer, Heinrich Brandler, Käte Duncker, Otto Gabel, Otto Geithner, Leo Jogiches, Karl Liebknecht sowie August und Bertha Thalheimer weitere prominente Linke an.

Die Mitglieder der »Gruppe Internationale« verurteilten die Zustimmung der SPD-Führung zu den Kriegskrediten und die damit verbundene Politik des »Burgfriedens« als Verrat an der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Der Gedanke eines gemeinsamen Austritts aus der SPD war nach kurzer Debatte verworfen worden, um die eigenen Wirkungsmöglichkeiten nicht unnütz zu beschneiden. Denn die Mitglieder der neuentstandenen Gruppe sahen es als ihre unmittelbare Aufgabe an, dem Friedensgedanken und dem Gedanken der Solidarität mit den Arbeitern in allen kriegführenden Staaten innerhalb der Sozialdemokratie wieder Geltung zu verschaffen. Eine möglichst große Zahl von sozialdemokratischen Abgeordneten sollte überzeugt werden, sich bei den nachfolgenden Abstimmungen des Reichstags gegen weitere Kriegskredite auszusprechen. Doch es war zunächst nur Karl Liebknecht, der am 2. Dezember 1914 den Mut fand, als einziger Abgeordneter des gesamten Reichstags mit »Nein« zu stimmen.

Da sie als innerparteiliche Opposition in den offiziellen Organen der SPD seit September 1914 nicht mehr zu Wort kamen, gingen die Mitglieder der »Gruppe Internationale« dazu über, im Abstand von zwei bis drei Wochen an mehrere hundert Empfänger in ganz Deutschland ein eigenes Informationsmaterial zu versenden. Wenige Tage vor Weihnachten 1914 wurde das Flugblatt »Friede auf Erden« in 2000 Exemplaren veröffentlicht; im Januar 1915 entstand der Aufruf »Die Welt speit Blut!« Doch konnten solche Publikationen eine eigene Zeitschrift nicht ersetzen.

Im April 1915, Rosa Luxemburg hatte wenige Wochen zuvor eine einjährige Haftstrafe antreten müssen, Karl Liebknecht war etwa zeitgleich zum Militärdienst einberufen worden, erschien in Verantwortung von Franz Mehring und Wilhelm Pieck die erste Ausgabe einer linken oppositionellen Zeitschrift, die – logisch und konsequent – den Namen »Die Internationale« trug und im Untertitel als »Eine Monatsschrift für Praxis und Theorie des Marxismus« beschrieben wurde. Allerdings griff die Polizei sofort ein und beschlagnahmte alle Exemplare, derer sie habhaft werden konnte. Eine zweite Ausgabe konnte vor Kriegsende nicht mehr erscheinen.

Am 2. Januar 1916 schließlich konstituierte sich die »Gruppe Internationale«, die bis dahin vor allem in Berlin und Umgebung agiert hatte, auf ihrer ersten Reichskonferenz als deutschlandweiter Zusammenschluss oppositioneller Kräfte innerhalb der SPD. Aus Kostengründen, aber auch, um der Polizei und ihren Spitzeln die Arbeit zu erschweren, die permanent Jagd auf Kriegsgegnern machten, tagte die Reichskonferenz in den Räumen der Rechtsanwaltskanzlei von Karl und Theodor Liebknecht in der damaligen Berliner Chausseestraße 161.

Am darauffolgenden schrieb Käte Duncker an ihren Mann, der sich zu dieser Zeit an der Front befand: »Gestern war eine größere Familienbesprechung zusammen mit Onkel Franz [Mehring] und Karl [Liebknecht]. Es handelt sich um die Ordnung des Nachlasses von Tante Rosa [Luxemburg], da waren natürlich auch die Verwandten aus den übrigen Orten gekommen [...] Wir einigten uns auf Tante Rosas Testament und machten dadurch einen Trennungsstrich zwischen uns und der Familie von Onkel Georg [Ledebour], der dieses Testament natürlich anfechten wird.«

Was in diesem Brief – mit Rücksicht auf die rigorose Militärzensur – als »Nachlaß von Tante Rosa« bezeichnet wurde, waren die »Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie«, die Rosa Luxemburg im Jahr zuvor in der Haft formuliert hatte. Sie wurden zur programmatischen Grundlage der nun reichsweiten »Gruppe Internationale«. Als Anhang zu einem weiteren Text von Rosa Luxemburg – »Die Krise der Sozialdemokratie« – wurden die »Leitsätze« wenige Wochen später als »Junius-Broschüre« in der Schweiz erstmals veröffentlicht.

Am 27. Januar 1916 erschien, natürlich illegal, der erste der »Spartakusbriefe«, in denen die neu konstituierte Gruppe ihre politischen Ziele darlegte und erläuterte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Name »Spartakus« auch zum Namen der Gruppe wurde: das Wirken der »Spartakusgruppe« und, ab November 1918, des »Spartakusbundes« war unbestritten ein Höhepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.

Im April 1917 verließen die »Spartakisten« die SPD und schlossen sich der neugegründeten USPD an, am 1. Januar 1919 gründeten sie gemeinsam mit den Bremer Linken und den Internationalen Kommunisten Deutschlands die Kommunistische Partei Deutschlands. Doch bis dahin war es im Januar 1916 noch ein weiter Weg.

Letzte Änderung: 19. Dezember 2016