Ausgewählte Artikel - 2015
Kahlschlagplenum
Vor fünfzig Jahren beendete eine Tagung des ZK der SED administrativ eine wichtige Etappe der kulturpolitischen Entwicklung der DDR
Die offizielle Ankündigung der 11. Tagung des ZK der SED im »Neuen Deutschland« ließ kein besonderes Ereignis erwarten. Die Tagung würde vom 15. bis 17. Dezember 1965 stattfinden und sich mit Wirtschaftsfragen, insbesondere den »Probleme(n) des Perspektivplanes bis 1970« und dem »Entwurf des Volkswirtschaftsplanes für 1966«, befassen. Insider gingen davon aus, dass der Selbstmord des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Erich Apel, der sich am 3. Dezember 1965 in seinem Dienstzimmer erschossen hatte, zumindest indirekt eine Rolle spielen würde: Apel galt als »Erfinder« des »Neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung«, das in der DDR seit dem 6. Parteitag im Januar 1963 zum Leitgedanken der Wirtschaftspolitik geworden war. Den Betrieben sollte dabei eine größere Eigenständigkeit zugestanden werden, die Erzielung von Gewinn, nicht die Erfüllung von zentralen Planvorgaben, sollte künftig ihre wirtschaftliche Tätigkeit bestimmen. Allerdings hatte es im Jahr zuvor an der Spitze der sowjetischen KP einen Führungswechsel gegeben, der nicht ohne Auswirkungen auf die DDR blieb – der reformoffene Nikita Chrustschow hatte seinen Platz im Kreml zugunsten des doktrinären Leonid Breshnew räumen müssen, der die wirtschaftspolitischen Reformansätze der »Bruderpartei« in der DDR grundsätzlich ablehnte.
Doch es war die Kulturpolitik, nicht die Wirtschaft, die durch eine Finte Erich Honeckers, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK, in den Mittelpunkt des Dezember-Plenums 1965 rückte.
Turnusgemäß war die Reihe an Honecker gewesen, auf der 11. Tagung des ZK in einer mehrstündigen Rede den »Bericht des Politbüros« vorzutragen. Wie üblich war der Text des Berichtes wenige Tage zuvor vom Politbüro bestätigt worden, der dann nicht mehr geändert werden durfte. Doch Honecker setzte sich über diese jahrelange Praxis hinweg. Zur Überraschung von Parteichef Walter Ulbricht – und weiteren Mitgliedern der Parteiführung – hatte er eine zuvor nicht abgestimmte Passage über die Kulturpolitik und insbesondere das künstlerische Schaffen in der DDR eingefügt.
In seiner Rede warf Honecker den Künstlerinnen und Künstler in der DDR »Nihilismus«, »Skeptizismus« und eine Reduzierung des »menschliche(n) Handeln(s) auf sexuelle Triebhaftigkeit« vor: »Einige Schriftsteller sind der Meinung, dass die sozialistische Erziehung nur durch summierte Darstellung von Mängeln und Fehlern erfolgreich sein kann. Sie verstehen nicht, dass die Wirkung ihrer Kunstwerke nach rückwärts zerrt und die Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins der Werktätigen hemmt.« Er verwies dabei auf Filme wie »Das Kaninchen bin ich« und »Denk bloß nicht, ich heule«, auf Theaterstücke wie »Der Bau« von Heiner Müller, auf die Arbeiten von Schriftstellern wie Stefan Heym und vielen anderen. Dem vielgehörten Jugendprogramm DT64 unterstellte er »Erscheinungen der amerikanischen Unmoral und Dekadenz«, was sich u.a. darin zeigen würde, dass in seinem »Musikprogramm einseitig die Beat-Musik propagiert« würde.
Von den auf dem Plenum anwesenden Schriftstellern meldeten sich in der anschließenden »Diskussion« fünf zu Wort, doch nur Christa Wolf, damals 36 Jahre alt, fand den Mut, den Attacken Honeckers zu widersprechen. Nicht die Literatur sei schuld an der Unmoral der Jugend, sagte sie in ihrer Diskussionsrede, die erst nach 1989 im Wortlaut veröffentlicht wurde, sondern »eine Leere, in die unsere mangelnde geistige offensive Anziehungskraft Teile der Jugend geführt hat, durch die Hohlräume entstanden sind, in die jetzt selbstverständlich fremde, feindliche Ideologien eindringen.«
Allen Beteiligten war klar, dass Honecker einen solchen kulturpolitischen Rundumschlag nicht ohne Rückendeckung aus Moskau führen konnte. Ulbricht, der völlig überrumpelt worden war, blieb daher nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und den durch Honeckers Rede verkündeten neuen kulturpolitischen Kurs mitzutragen. Allerdings schlug er bereits in seinem Referat über die »Probleme des Perspektivplanes bis 1970«, das er am dritten Tag des Plenums hielt, versöhnliche Töne an, als er die Künstlerinnen und Künstler der DDR, anders als Honecker, ausdrücklich einlud, in ihrem Schaffen auch den »komplizierten Erscheinungen (des Lebens in der DDR) nicht auszuweichen.«
Dieser Haltung Ulbrichts war es zum Beispiel zu verdanken, dass das Jugendradio auch in den folgenden Jahren mit einem nahezu unveränderten Programmkonzept weitermachen konnte.
Doch in ihrer Gesamtheit waren die Konsequenzen des »Kahlschlagplenums« für das kulturelle Leben in der DDR verheerend. Zahlreiche Bücher und Theaterstücke wurden verboten. Filme verschwanden für Jahrzehnte in den Archiven oder wurden gar nicht erst gedreht. Musikgruppen wurden aufgelöst oder erhielten ein Auftrittsverbot. Der vorsichtige kulturelle Aufbruch der vorangegangenen Jahre wurde abrupt beendet. Die Folgen dieser Entwicklung wirkten bis zum Ende der DDR – ein knappes Vierteljahrhundert später.
Letzte Änderung: 22. Januar 2018