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Ausgewählte Artikel - 2014
JahrBuch für Forschungen ...* - Januar 2014

Ein ausgesprochen unappetitliches Buch

Annotation zu: Domenico Losurdo, Stalin. Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende. Mit einem Essay von Luciano Canfora, PapyRossa Verlag, Köln 2012

Losurdo hat ein ausgesprochen unappetitliches Buch vorgelegt. Zwar behauptet er, die Ereignisse und Entwicklungen in der Sowjetunion, die mit dem Namen Stalin verbunden sind, in den großen historischen Kontext einordnen zu wollen. Es ginge ihm darum, die unzulässigen Verkürzungen bisheriger geschichtlicher Betrachtungen zu enthüllen und zu überwinden.

Doch tatsächlich relativiert er mit seiner vorgeblich "komparatistischen" Methode alle Verbrechen Stalins nach dem ebenso dreisten wie widersinnigen Motto, man dürfe Stalins Taten nicht anders bewerten als die – in Losurdos Lesart - zumeist viel größeren Verbrechen anderer (westlicher) Persönlichkeiten der Geschichte. Geflissentlich "übersieht" Losurdo, dass die kommunistische Bewegung mit einem gänzlich anderen Anspruch angetreten war - eine freie und gerechte Gesellschaft, ohne Zwang und Gewalt, zu errichten.

Losurdo fabuliert von einem "zweiten Dreißigjährigen Krieg" gegen die Sowjetunion, der nicht nur die Zeit der Oktoberrevolution und des anschließenden Bürgerkrieges sowie den Krieg gegen Hitlerdeutschland und den Kalten Krieg nach 1945 umfasst haben soll, sondern auch einen "zweiten Bürgerkrieg" in den zwanziger und dreißiger Jahren, den insbesondere Trotzki zu verantworten gehabt habe. Die Terrorprozesse der Jahre 1936 bis 1938 seien folglich nur notwendige und unvermeidliche Reaktionen gewesen.

Schließt man sich dieser Sichtweise an und verfolgt sie konsequent weiter, so bleibt - ganz in Losurdos Sinne - wohl nur die absurde und ahistorische Schlussfolgerung, dass es keine Alternative zu Stalin und seiner Politik gab und dass nur die Methoden Stalins der Sowjetunion die notwendige politische, wirtschaftliche und militärische Stärke sicherten, um sich gegen die fortgesetzten Angriffe von innen und außen verteidigen zu können.

Losurdo lässt sich kaum von konkreten geschichtlichen Tatsachen beeindrucken, vor allem nicht dort, wo sie nicht in sein Konzept passen. Besonders dreist ist dieses Vorgehen, wenn er jeden Antisemitismus bei Stalin grundsätzlich in Abrede stellt. Kein Wort von der Zerschlagung des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der nachfolgenden Ermordung zahlreicher seiner Funktionäre, kein Wort von der antisemitischen Kampagne im Gefolge der vermeintlichen "Ärzteverschwörung"...

* JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung

Letzte Änderung: 23. Januar 2014