www.ronald-friedmann.de
Ausgewählte Artikel - 2013
Disput - Oktober 2013

Der »Deutsche Oktober«

Vor 90 Jahren plante die Komintern eine Revolution in Deutschland, Arbeiterregierungen sollten den Weg bahnen

Im Januar 1923 hatten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzt, weil Deutschland bei der Leistung von Reparationen aus dem Versailler Vertrag angeblich in Verzug geraten war. Schlagartig büßte Deutschland fast drei Viertel seiner Steinkohleförderung und mehr als die Hälfte seiner Roheisen- bzw. Rohstahlproduktion ein, mit den entsprechenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Innerhalb kürzester Zeit überrollte eine Welle des Protestes das Land, von der Regierung wurden entschiedene Maßnahmen gegen die Ruhrbesetzung gefordert. Im August 1923 schließlich zwang ein Generalstreik den glücklosen Reichskanzler Wilhelm Cuno zum Rücktritt. Zwar bildete Gustav Stresemann umgehend ein Kabinett der großen Koalition unter Einbeziehung der SPD, doch an der Spitze der Kommunistischen Internationale in Moskau war man – in völliger Verkennung der tatsächlichen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse – nunmehr überzeugt, dass in Deutschland eine revolutionäre Situation wie in Rußland im Sommer 1917 entsteht.

Umgehend wurde die engere Führung der KPD nach Moskau beordert, um dort gemeinsam mit der Spitze der Komintern einen bewaffneten Aufstand zu planen. Gleichzeitig wurden politische Beauftragte und hochrangige sowjetische Militärs, die sich ihre Verdienste im Bürgerkrieg erworben hatten, in streng geheimer Mission nach Deutschland entsandt, um dort ihre Genossen zu unterstützen.

Eine entscheidende Rolle in den Revolutionsplänen war den »Proletarischen Hundertschaften« zugedacht, die in ganz Deutschland zeitweise über 50.000 Mitglieder hatten. Sie waren Anfang der zwanziger Jahre als Selbstschutzorganisationen der Arbeiter entstanden. Ihnen gehörten Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilose an, die wichtigsten Funktionen wurden jedoch nahezu ausschließlich von Mitgliedern der KPD besetzt. Allerdings verfügten die »Hundertschaften« weder über eine nennenswerte militärische Ausbildung noch über Waffen in größerer Zahl.

Deshalb stimmte die Komintern nun plötzlich der Bildung von Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen zu, denn die Arbeiterregierungen sollten für die Bewaffnung der »Proletarischen Hundertschaften« sorgen.

Die Frage von Arbeiterregierungen, also Koalitionsregierungen aus SPD und KPD unter Führung eines sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, war seit Monaten innerhalb der Komintern und innerhalb der KPD äußerst kontrovers diskutiert worden und hatte die Partei zeitweise an den Rand einer Spaltung gebracht.

Insbesondere die ultralinken Kräfte um Arkadi Maslow und Ruth Fischer, die bereits auf die Ruhrbesetzung mit einem bewaffneten Aufstand reagieren wollten, lehnten jede kommunistische Regierungsbeteiligung ab. Die realpolitischen Kräfte um Heinrich Brandler und August Thalheimer hatten allerdings erkannt, dass die revolutionäre Nachkriegskrise beendet war und dass es jetzt – im Interesse der arbeitenden Menschen – um andere Formen des politischen Kampfes gehen musste. Sie hatten durchgesetzt, dass die KPD in Sachsen und Thüringen bereits seit Anfang des Jahres sozialdemokratische Minderheitsregierungen unterstützte. Der Leipziger Parteitag der KPD im Februar 1923 hatte dazu erklärt: Arbeiterregierungen sind »ein Versuch der Arbeiterklasse im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben. […] Der Kampf für die Arbeiterregierung darf die Propaganda der Kommunisten für die Diktatur des Proletariats nicht schwächen, denn die Arbeiterregierung […] ist nur […] eine Etappe des Proletariats in seinem Kampfe um die politische Alleinherrschaft.«

Die Reichsregierung in Berlin, unterstützt vom Parteivorstand der SPD, reagierte auf die Berufung kommunistischer Minister in Sachsen und Thüringen am 10. bzw. 16. Oktober 1923 umgehend mit der Androhung der »Reichsexekution«, also der militärischen Besetzung der beiden Länder, der Absetzung der rechtmäßigen Regierungen und der Ausübung der Regierungsgewalt durch einen von der Reichsregierung eingesetzten Reichskommissar.

Am 20. Oktober 1923 beschloss die Zentrale der KPD, zum Generalstreik gegen den drohenden Einmarsch der Reichswehr in Sachsen aufzurufen und den Generalstreik zum Ausgangspunkt für den seit Wochen geplanten, jedoch nicht wirklich vorbereiteten bewaffneten Aufstand zu machen. Doch eine überparteiliche, von der SPD dominierte Betriebsräte- und Arbeiterkonferenz am 21. Oktober 1923 in Chemnitz verweigerte den Plänen der KPD die Zustimmung. Im Ergebnis entschied die Führung der KPD umgehend, den »Endkampf« um die politische Macht zu »verschieben«. Lediglich in Hamburg kam es zu einem begrenzten Aufstandsversuch, der jedoch isoliert blieb.

Die »Deutsche Oktoberrevolution« war gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Durch eigenes Verschulden geriet die KPD erneut in eine existenzielle Krise.

Letzte Änderung: 14. November 2013