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Ausgewählte Artikel - 2012
Neues Deutschland - 16. November 2012

Storfer rettete meinen Großvater

Leserbrief zu »Die Tragik eines Judenretters« (nd vom 8. November 2012)

Zu den mehr als 9000 Menschen, denen Berthold Storfer das Leben rettete, gehörte auch mein Großvater. Nach einer mehrmonatigen abenteuerlichen Reise von Berlin, Danzig, München, Wien und anderen Orten im hitlerdeutschen Machtbereich nach Bratislava und von dort über die Donau, das Schwarze und das Mittelmeer, die von Storfer organisiert worden war, gelangten im Dezember 1940 mehr als 3600 jüdische Flüchtlinge als illegale Einwanderer nach Palästina. Die dortigen britischen Mandatsbehörden wollten sie allerdings umgehend nach Mauritius deportieren. Die Explosion der »Patria« im Hafen von Haifa ersparte einem großen Teil von ihnen dieses Schicksal. Doch etwa 1600 Flüchtlinge, unter ihnen mein Großvater, wurden tatsächlich nach Mauritius gebracht, wo mein Großvater 1943 starb.

Ich habe vor etwa fünfzehn Jahren ein Buch über das Schicksal der nach Mauritius deportierten Flüchtlinge geschrieben, in dem ich Berthold Storfer einen Exkurs gewidmet habe (Exil auf Mauritius 1940 bis 1945. Das Schicksal emigrierter Juden. Report einer »demokratischen« Deportation, edition ost, Berlin 1998). Ich kann der in dem Buch von Gabriele Anderl und der Rezension von Ernst Reuß aufgestellten Behauptung, Storfer habe sich den Nazis »verdingt« und sei ihr »Handlanger«, sogar »Eichmanns rechte Hand« gewesen, nur nachdrücklich widersprechen.

Erich Frank, bis Mitte 1940 Leiter des deutschen Hechaluz, dann Leiter der Berliner Flüchtlingsgruppe, gab nach dem Krieg folgende Einschätzung der Rolle Storfers: »Auf der äußersten Grenze der Zusammenarbeit mit der Gestapo, aber zweifellos auf der zulässigen Seite, stand Storfer in Wien ... (Er) leitete die jüdische Auswanderungsstelle …, mit Erlaubnis der Gestapo, aber in engster Zusammenarbeit mit (Josef) Löwenherz von der Gemeinde. Wir waren damals gegenüber seiner Tätigkeit sehr skeptisch, aber offenbar zu unrecht.« Löwenherz, der vormalige Direktor der jüdischen Gemeinde in Wien, hatte bereits im Sommer 1940 in einem Brief an Freunde in New York die Flüchtlingstransporte als eine »ganz gewaltige Leistung« gewürdigt, »deren Vollbringung vornehmlich der Zähigkeit und den unermüdlichen Bemühungen des Herrn Storfer zu verdanken ist.«

Letzte Änderung: 16. November 2012