Disput - Oktober 2012

Dreizehn Tage

Während der Kuba-Krise vor fünfzig Jahren stand die Welt am Rande eines Atomkrieges

Im Sommer 1962 hatten die Sowjetunion und Kuba den Ausbau ihrer militärischen Zusammenarbeit vereinbart und das auch der internationalen Öffentlichkeit bekanntgemacht. Dieser Schritt war erforderlich geworden, weil die USA seit dem Sieg der Kubanischen Revolution im Januar 1959 nichts unversucht gelassen hatten, die Revolutionäre um Fidel Castro zu stürzen und die alten Machtverhältnisse auf der Karibikinseln wiederherzustellen. Trauriger Höhepunkt war der - gescheiterte - Versuch einer Invasion in der Schweinebucht im April 1961 gewesen, als Tausende Exilkubaner unter dem Kommando der CIA in Kuba eingefallen waren.

Doch konnte es der Sowjetunion nicht nur um den Schutz Kubas gehen: Seit Ende der fünfziger Jahre hatten die USA in Großbritannien, Italien und vor allem der Türkei nukleare Mittelstreckenraketen stationiert, die faktisch ohne Vorwarnzeit unmittelbar das Territorium der Sowjetunion, einschließlich Moskaus, bedrohten. Mit Kuba wurde deshalb - unter strengster Geheimhaltung - auch die Stationierung sowjetischer Lang- und Mittelstreckenraketen auf kubanischem Boden vereinbart, die ebenfalls nuklearwaffenfähig waren und in deren Reichweite nicht nur Washington und New York, sondern auch Los Angeles und San Francisco lagen.

Bei einem - völkerrechtswidrigen - Spionageflug mit der berüchtigten U-2 über kubanischen Territorium entstanden am 14. Oktober 1962 die ersten Aufnahmen der noch im Bau befindlichen sowjetischen Raketenstellungen. Am Tag darauf wurden die Aufnahmen wiederholt, und nun wurde auch US-Präsident John F. Kennedy über die Ergebnisse der Spionageflüge informiert.

Damit begann die eigentlich Kuba-Krise. Denn die Führung der USA war nicht bereit, eine Situation zu akzeptieren, die sie umgekehrt der Sowjetunion bereits seit Jahren als selbstverständlich zumutete - mit der unmittelbaren Bedrohung ihres Territoriums durch feindliche Raketen zu leben. Doch statt nach einer für beiden Seiten, also die USA und die Sowjetunion, akzeptablen Verhandlungslösung zu suchen, stand für Kennedy und seine Administration nur eine militärische Lösung zur Debatte. Diskutiert wurde lediglich die Frage, ob Kuba sofort und massiv zu bombardieren und anschließend zu besetzen sei oder ob eine militärische Seeblockade ausreichen würde, die Sowjetunion zum Abzug ihrer Raketen aus Kuba zu zwingen. Selbst als der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko am 18. Oktober 1962 zu einem lange geplanten offiziellen Besuch in Washington eintraf, wurde die der Öffentlichkeit noch immer unbekannte Frage der sowjetischen Raketen auf Kuba aus »taktischen Gründen« nicht angesprochen.

Die Entscheidung über das weitere Vorgehen Washingtons fiel am 21. Oktober 1962: Führende Militärs hatten dem US-Präsidenten mitgeteilt, daß es keine Garantie dafür gäbe, bei einem Bombenangriff auf Kuba tatsächlich alle sowjetischen Raketen zu zerstören.

Am folgenden Tag, das war der 22. Oktober 1962, informierte Kennedy daher in einer landesweit übertragenen Fernsehrede die US-amerikanische Öffentlichkeit über die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba und über seine Entscheidung, durch eine militärische Seeblockade Kuba - er verwendete allerdings den vorsätzlich irreführenden Begriff »Quarantäne« - den sofortigen Abzug dieser Raketen erzwingen zu wollen.

In Moskau erklärte der sowjetische Partei- und Regierzungschef Nikita Chrustschow ungehend, daß die sowjetischen Waffen auf Kuba ausschließlich der Verteidigung dienen würden und daß sich die Sowjetunion niemals der Drohung mit einer Seeblockade beugen würde. Doch anders als in Washington war man in der sowjetischen Hauptstadt bemüht, keine weitere Eskalation zuzulassen. Mehr noch, auf inoffiziellen Kanälen unterbreitete die Sowjetunion umgehend ihre Vorschläge zur Entspannung der entstandenen Lage.

Trotzdem spitzte sich die Situation zunächst weiter zu. Besonders gefährlich wurde es am 27. Oktober 1962, als es tatsächlich in verschiedenen Teilen der Welt zu militärischen Handlungen kam, die zu einem Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion hätten führen können.

Doch am Abend des selben Tages gab es endlich die Wende in dem schwelenden Konflikt: In Washington berieten US-Justizminister Robert Kenndey, ein Bruder des Präsidenten, und der sowjetische Botschafter Anatoli Dobrynin die aus Moskau übermittelten Vorschläge. Noch in der Nacht übermittelte Dobrynin die Ergebnisse an Chruschtschow: Die Sowjetunion würde ihre Raketen aus Kuba abziehen. Im Gegenzug würden die USA öffentlich erklären, Kuba künftig nicht mehr militärisch zu bedrohen. Die US-amerikanischen Mittelstreckenraketen würden umgehend aus Italien abgezogen werden. Die entsprechenden Waffen in der Türkei würden jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt und geheim entfernt werden. Auch dieser Klausel stimmte die Sowjetunion zu, obwohl es den USA auf diese Art und Weise noch leichter fiel, sich gegenüber der internationalen Öffentlichkeit als »Sieger« der Krise zu präsentieren.

Um keine Zeit zu verlieren, ließ Chruschtschow am 28. Oktober 1962 seine Zustimmung über Radio Moskau verbreiten, bevor die Nachricht auch über diplomatische Kanäle nach Washington übermittelt wurde.

Die Kuba-Krise war beendet.

Autor: Ronald Friedmann
Ausgedruckt am: 23. April 2024
Quelle: www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2012/dreizehn-tage/