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Ausgewählte Artikel - 2011
JahrBuch für Forschungen ...* - September 2011

Johnny. A Spy's Life

Rezension R.S. Rose and Gordon D. Scott, Johnny. A Spy's Life, Pennsylvania State University Press 2009

Die beiden Autoren haben sich mehr als zehn Jahre mit dem Leben des abtrünnigen deutschen Kommunisten und langjährigen britischen Geheimdienstspitzels Johann Heinrich Amadeus de Graaf (1894-1980), besser bekannt als Johnny de Graaf, befaßt. Bereits im Jahre 2001 publizierte einer der Autoren in einer renommierten US-amerikanischen Zeitschrift ein erstes vielversprechendes Ergebnis der gemeinsamen Arbeit (R.S. Rose, Johnny's Two Trips to Brazil, in: Luso-Brazilian Review, Vol. 38, No. 1 (Summer, 2001)). Doch das jetzt veröffentlichte Buch kann den damals geweckten Erwartungen in keiner Weise gerecht werden.

Zwar enthält der umfangreiche wissenschaftliche Apparat des Buches eine lange Liste der angeblich genutzten Quellen und Archive aus aller Welt und eine beeindruckende Übersicht der - wiederum - angeblich genutzten Sekundärliteratur. Doch letztlich kommt in dem Buch nur Johnny de Graaf selbst zu Wort: In den Jahren 1975 und 1976 führte Scott zahlreiche Gespräche mit de Graaf, der zu dieser Zeit bereits seit vielen Jahren als Geschäftsmann und Pensionär in Kanada lebte. Die Tonbandaufzeichnungen dieser Gespräche waren in der Folge die wichtigste Grundlage des nun vorliegenden Buches. Die Darstellungen de Graafs wurden von den Autoren grundsätzlich nicht infrage gestellt und nur ausnahmsweise - und dann stets sehr wohlwollend - auf ihre Plausibilität geprüft.

So ist ein Buch entstanden, das in weiten Teilen fatal an eine US-amerikanische Publikation aus dem Jahre 1940 erinnert. Damals erschien unter dem Titel "Out of the Night" die angebliche Autobiographie des deutschen Kominternfunktionärs Jan Valtin, die sich jedoch sehr bald als das phantasievolle Werk des weithin unbekannten früheren KPD-Funktionärs Richard Krebs entpuppte, der tatsächlich zeitweise eine untergeordnete Rolle im Kominternapparat gespielt hatte, nach seinem Wechsel auf explizit antikommunistische Positionen Mitte der dreißiger Jahre mit seinem Buch nun aber ein neues, eben antikommunistisches Glaubensbekenntnis ablegen wollte.

Auch bei dem Buch über Johnny de Graaf muß grundsätzlich jede Aussage angezweifelt werden. Das liegt nicht nur an den zahllosen Ungenauigkeiten hinsichtlich einzelner historischer Fakten, für die einige kurze Beispiele genügen sollten: Das maßgebliche Führungsgremium der KPD war erst ab 1925 das Zentralkomitee, vorher hieß es einfach Zentrale. Und der Rotfrontkämpferbund wurde erst 1924 gegründet und konnte schon deshalb im Jahre 1923 keine 2 Millionen (sic!) Mitglieder haben (Seite 88). Die Gestapo wurde erst im April 1933 gebildet, konnte also nicht schon im Januar 1933 gegen deutsche Antifaschisten vorgehen. Die wichtigste paramilitärische Organisation der deutschen Faschisten war im Frühjahr 1933 nicht die SS, sondern die SA (Seite 168) usw. usf.

Schlimmer noch, es gibt wiederholt Darstellungen, von denen die Autoren ganz offensichtlich wußten, daß sie falsch waren, die sie aber dennoch unkommentiert in der Diktion von de Graaf wiedergaben: So soll beispielsweise Arthur Ewert, bis 1929 Mitglied des KPD-Politbüros, dann aber als sogenannter Versöhnler von der Arbeit in der KPD ausgeschlossen, angeblich im Januar 1933 auf einer Kundgebung der KPD in der Berliner Schützenhalle (sic!) gesprochen haben, bei der verkündet wurde, daß nicht Hitler, sondern Franz Bracht der nächste deutsche Reichskanzler werden würde (Seite 168). Tatsächlich befand sich Arthur Ewert aber zu diesem Zeitpunkt im Auftrag der Komintern bereits in China, wie die Autoren wenige Seiten später selbst bestätigen (Seite 184).

Wichtige Ereignisse und Entwicklungen im Leben von Johnny de Graaf werden nicht oder nur am Rande erwähnt. So bleibt beispielsweise die Rolle, die er in den zwanziger Jahren in der KPD spielte, vollkommen diffus. Offenbar wollten die Autoren den Eindruck erwecken, daß de Graaf in dieser Zeit zwar aktiver Kommunist war, aber außerhalb der offiziellen Parteistrukturen stand. Das Gegenteil jedoch ist richtig. Denn de Graaf war ein gut funktionierendes Teil des von ihm in diesem Buch vielgeschmähten Apparates mit Verantwortung für das gesamte Ruhrgebiet, mehr noch, er zählte zu jenem auserwählten Kreis von Funktionären, deren Status durch ein Mandat als Landtagsabgeordnete aufgewertet wurde. Davon erfährt der Leser allerdings nichts.

Geradezu lächerlich ist die Schilderung der Kontaktaufnahme de Graafs mit dem britischen Geheimdienst im Sommer 1933 in Berlin. So soll Frank Foley, ein erfahrener und fähiger Geheimdienstoffizier, der in späteren Jahren maßgeblichen Anteil daran hatte, daß in Hitlerdeutschland keine Atombombe gebaut werden konnte, dem Selbstanbieter de Graaf bereits beim ersten Gespräch mitgeteilt haben, daß die Mitbegründer der USPD Dittmann, Haase und Ladebour (sic!) jahrelang auf den Gehaltslisten des britischen Geheimdienstes standen und daß das gesamte Projekt USPD vom britischen Geheimdienst finanziert wurde (Seite 172). Abgesehen davon, daß die Autoren jeden Beleg für die von ihnen mitgetragene Behauptung de Graafs schuldig bleiben, ist es absurd anzunehmen, daß ein Geheimdienstoffizier eine so wichtige Information ohne Not an einen unbeteiligten Dritten weitergeben würde.

Nur noch als zynisch ist die Darstellung der "Intentona Comunista", des kommunistischen Aufstandsversuch in Brasilien im November 1935, zu bezeichnen. De Graaf, der ebenso wie Arthur Ewert zu den Emissären der Komintern gehörte, die in Brasilien die Übernahme der politischen Macht durch Luis Carlos Prestes und die Kommunistische Partei organisieren sollten, informierte regelmäßig den britischen Geheimdienst über jeden geplanten Schritt, der wiederum alle Informationen an die brasilianischen Behörden weitergab. Daß es unter diesen Umständen keine Chance für einen Erfolg der Operation gab, lag also nicht an der von de Graaf immer wieder mit Verve beklagten falschen Einschätzung der Lage durch Prestes, Ewert und Co., sondern eben daran, daß die Gegenseite durch den Verrat von de Graaf jederzeit detailliert informiert war.

Kurzum: Mit den ausführlichen mündlichen Schilderungen de Graafs verfügten die Autoren über eine Quelle, die bei kritischer und distanzierter Verwendung zu einem einzigartigen Buch hätte führen können. Diese Chance wurde - aus welchen Gründen auch immer - vertan.

* JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung

Letzte Änderung: 11. November 2011