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Ausgewählte Artikel - 2011
Disput - März 2011

"Ich sehe die Erde!"

Vor fünfzig Jahren flog der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin als erster Mensch in den Weltraum

Am 12. April 1961 um 9.07 Uhr Moskauer Zeit hob die mehrstufige Rakete vom Kosmodrom Baikonur, das damals noch Tjuratam hieß, ab. 15 Minuten später empfing in Alaska eine vom US-amerikanischen Geheimdienst NSA betriebene Abhörstation die Funk- und Fernsehsignale des neuen Himmelskörpers, der sich inzwischen auf einer stabilen Erdumlaufbahn in knapp 320 Kilometer Höhe bewegte. 23 Minuten nach dem Start wurde US-Präsident John F. Kennedy geweckt – in Washington war es tiefe Nacht – und über das Ereignis informiert. Und um 10.02 Uhr Moskauer Zeit, genau 55 Minuten nach dem Abheben der Rakete, wurde über Radio Moskau diese Nachricht der amtlichen sowjetischen Nachrichtenagentur Tass verbreitet: "Achtung! Hier spricht Radio Moskau. Diese Meldung wird von allen Radiostationen in der Sowjetunion übertragen. Das erste Raumschiff der Welt, 'Wostok', ist heute von der Sowjetunion aus mit einem Menschen an Bord in eine Erdumlaufbahn gestartet worden. Der Fliegerkosmonaut an Bord des Raumschiffes 'Wostok' ist ein Bürger der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, der Fliegermajor Juri Alexejewitsch Gagarin."

Der erste bemannte Weltraumflug war eine wissenschaftlich-technische Sensation. Eine wirkliche Überraschung konnte er aber dennoch nicht sein, denn die vielfältigen Ereignisse und Entwicklungen seit dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten "Sputnik 1" durch die Sowjetunion am 4. Oktober 1957 hatten jedem ernsthaften Beobachter dieser frühen Phase der Weltraumfahrt deutlich gemacht, daß der erste Weltraumflug eines Menschen nur noch eine Frage der Zeit war.

Erste Planungen für den Flug eines Menschen in die Erdumlaufbahn hatte es in der Sowjetunion bereits seit Dezember 1957 gegeben, im Juni 1960 dann war von den zuständigen Gremien in Partei und Staat entschieden worden, spätestens im Dezember 1960 einen bemannten Weltraumflug durchzuführen. Dieser Termin konnte nicht eingehalten werden, denn die Anforderungen an eine Trägerrakete und eine Raumkapsel erwiesen sich als sehr komplex. Doch zwei erfolgreiche unbemannte Testflüge im März 1961 lieferten schließlich den Beweis, daß ein bemannter Flug möglich und das Risiko kalkulierbar war. Nur vier Tage vor dem historischen 12. April 1961 fiel die Entscheidung, den gerade 26 Jahre alten Juri Gagarin mit der Mission zu beauftragen. Sein Ersatzmann war der noch einige Monate jüngere German Titow, der dann im August 1961 mit "Wostok 2" zu seinem Weltraumflug kam.

Auch in den USA hatte man sehr frühzeitig mit der Vorbereitung eines bemannten Weltraumfluges begonnen. Anders als in der Sowjetunion, wo das Projekt unter strengster Geheimhaltung lief, hatte man dort bereits öffentlichkeitswirksam eine Gruppe von künftigen Astronauten ausgewählt und den Erstflug für das Frühjahr 1961 angekündigt. Tatsächlich startet Alan Shepard an Bord einer Mercury-Redstone-Rakete nur knapp vier Wochen nach dem Flug von Juri Gagarin in das Weltall. Allerdings konnte wegen fehlender technischer Voraussetzungen keine Erdumrundung geplant werden: Shepard absolvierte lediglich einen sogenannten suborbitalen Flug von knapp 15 Minuten - eine beachtliche Leistung, die trotzdem deutlich hinter der Juri Gagarins zurückblieb.

Denn Juri Gagarins Flug hatte etwa 90 Minuten gedauert, und er hatte dabei die Erde einmal vollständig umrundet. Wissenschaftliche Experimente waren nicht vorgesehen gewesen, ging es doch bei diesem allerersten bemannten Weltraumflug einzig und allein darum, die "Lebens- und Arbeitsfähigkeit des Menschen unter den Bedingungen des erdnahen Raumes", wie es in der Sprache der Wissenschaftler hieß, zu beweisen. So hatte Juri Gagarin Zeit, einen Blick aus dem kleinen Kabinenfenster zu werfen und voller Begeisterung über Funk eine Beschreibung dessen zu übermitteln, was er sah: "Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewundernswert, was für eine Schönheit!"

Inzwischen waren mehr als 500 Menschen im Weltall, 12 US-Amerikaner, unter ihnen Alan Shepard, haben sogar den Mond betreten. Der Russe Waleri Poljakow lebte und arbeitete ununterbrochen 437 Tage an Bord der Raumstation "Mir", und sein Landmann Sergei Krikaljow verbrachte bei insgesamt 6 Raumflügen fast zweieinhalb Jahre seines Lebens an Bord von Raumschiffen und Raumstationen. Seit mehr als zehn Jahren, seit dem 31. Oktober 2000, halten sich ständig Menschen im Weltall auf. All das begann vor genau fünfzig Jahren mit dem 90minütigen Flug von Juri Gagarin ...

Letzte Änderung: 2. Oktober 2011