Ausgewählte Artikel - 2011
Einer der Fähigsten...
Zum 100. Geburtstag des deutschen Kommunisten und Physikers Klaus Fuchs
Am 24. Juli 1945, die Beratungen der Potsdamer Konferenz waren für diesen Tag gerade beendet worden, informierte US-Präsident Harry S. Truman den sowjetischen Partei- und Regierungschef Josef Stalin betont beiläufig, daß die USA über eine neue Waffe, eine Bombe, von außergewöhnlicher Sprengkraft verfügen würden. Der britische Premier Winston Churchill, der den Vorgang beobachtete, zeigte sich enttäuscht über das Ausbleiben jeder Reaktion bei Stalin. Dieser habe, so Churchills Vermutung, die Tragweite von Trumans Erklärung nicht begriffen. Doch Stalin wußte, um welche Waffe es ging: Durch die Geheimdienste seines Landes war er detailliert über das US-amerikanische Manhattan-Projekt zur Entwicklung und zum Bau einer Atombombe informiert worden.
Angesichts des nuklearen Massenmords von Hiroshima und Nagasaki, der nachdrücklich die Bereitschaft der USA demonstrierte, Atomwaffen auch einzusetzen, sah sich die Sowjetunion im Spätsommer 1945 gezwungen, ein eigenes Atomwaffenprogramm zu beginnen.
Hilfe bekamen die sowjetischen Wissenschaftler und Techniker dabei von dem deutschen Kommunisten und Physiker Klaus Fuchs, der seit 1941 zunächst im britischen, ab Ende 1943 dann im US-amerikanischen Atombombenprojekt an maßgeblicher Stelle mitgewirkt hatte.
Klaus Fuchs wurde am 29. Dezember 1911 in Rüsselsheim in der Familie des Pfarrers Emil Fuchs geboren, der 1921 als einer der ersten Geistlichen in Deutschland Mitglied der SPD wurde und in späteren Jahren Mitbegründer der Religiösen Sozialisten war. Auch Klaus Fuchs ging zunächst in die SPD, im Sommer 1932 wurde er dann Mitglied der KPD. Im September 1933, wenige Monate nach der Machtübergabe an Hitler, mußte er Deutschland verlassen. Völlig mittellos kam er nach Großbritannien, doch konnte er dort sein Studium der Mathematik und der Physik fortsetzen uns abschließen. Es erwies sich sehr schnell, daß Klaus Fuchs weltweit einer der fähigsten Wissenschaftler seiner Zeit war: Mit gerade 24 Jahren hatte er seine erste Veröffentlichung in den "Proceedings of the Royal Society", weitere hochkarätige Arbeiten, die zum Teil bis heute zitiert werden, folgten. Viele seiner Kollegen stimmten in späteren Jahren darin überein, daß Klaus Fuchs bei einer ungebrochenen wissenschaftlichen Laufbahn auch ein Kandidat für einen Nobelpreis gewesen wäre.
So war es naheliegend, daß Klaus Fuchs, der inzwischen britischer Staatsbürger war, ungeachtet seiner Sympathien für die Sache des Kommunismus, zur Mitarbeit bei der Entwicklung und dem Bau einer Atombombe aufgefordert wurde. Angesichts der Tatsache, daß die Atombombe die bis dahin mörderischste Waffe der Weltgeschichte sein würde, stand er, wie andere Wissenschaftler auch, vor einer moralischen Entscheidung von größter Tragweite. Max Born, der Lehrer von Klaus Fuchs im schottischen Edinburgh, lehnte eine Mitarbeit ab, weil er die Atombombe als eine "teuflische Erfindung" sah. Josef Rotblatt schied Ende 1944 aus dem Manhattan-Projekt aus, weil er erkannte, daß Hitlerdeutschland nicht mehr in den Besitz der Atombombe gelangen würde und daß die Atombombe eine Waffe für die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sein würde. Klaus Fuchs schließlich fand einen "Ausweg aus einer ausweglosen Lage", wie es sein Vater viele Jahre später formulierte, in dem er sich am britischen und am US-amerikanischen Atombombenprojekt beteiligte, aber alle Informationen, die er erhielt, auf geheimen Wegen an die Sowjetunion übermittelte. Er traf damit die wohl konsequenteste Entscheidung.
Fast sieben Jahre dauerte seine Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Geheimdienst. Zeitweise war es Ruth Werner, die legendäre "Sonja", die als Kurierin für ihn arbeitete. Die wichtigste Information, die er weitergab, so bestätigte Klaus Fuchs nach seiner Verhaftung, war der komplette Bauplan der ersten US-amerikanischen Atombombe. Dieser Bauplan diente als Grundlage für die erste sowjetische Atombombe, die am 29. August 1949 erfolgreich getestet wurde.
Wenige Monate später, im Februar 1950, wurde Klaus Fuchs in London verhaftet und im darauffolgenden Monat zur damals möglichen Höchststrafe von 14 Jahren Haft verurteilt. Im Juni 1959 wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen und aus Großbritannien in die DDR abgeschoben.
Dort begann er eine zweite Karriere als Wissenschaftler und Wissenschaftspolitiker. Als Mitglied des ZK der SED und Mitglied des Präsidiums der Akademie der Wissenschaften übte er wesentlichen Einfluß auf die Forschungspolitik der DDR aus. Hochgeehrt starb er am 28. Januar 1988.
Doch seine größte Lebensleistung, der Sowjetunion in einem kritischen Augenblick der Weltgeschichte die Geheimnisse der US-amerikanischen Atombombe enthüllt zu haben, wurde im Osten über seinen Tod hinaus als großes Geheimnis behandelt. Erst nach 1990 wurde seine Rolle als "Atomspion" bei der Brechung des US-amerikanischen Atomwaffenmonopols und der Herstellung eines nuklearen Gleichgewichts in der internationalen Politik auch östlich der Elbe offiziell bekannt und vor allem anerkannt.
Letzte Änderung: 27. Dezember 2011