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Ausgewählte Artikel - 2010
Disput - November 2010

Mittlere Kader

Annotation zu Mario Niemann und Andreas Herbst (Hrsg.), SED-Kader: Die mittlere Ebene. Biographisches Lexikon der Sekretäre der Landes- und Bezirksleitungen, der Ministerpräsidenten und der Vorsitzenden der Räte der Bezirke 1946 bis 1989, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2010

Noch ein Buch über die DDR, bei dem man sofort überlegt, wer es denn wirklich braucht. Es geht um die "mittleren Kader" der SED. Schon beim ersten Blick in das Buch stellen sich Fragen, auf die es auch bei der nachfolgenden Lektüre keine wirkliche Antwort gibt: Waren die Ministerpräsidenten der Länder und die Vorsitzenden der Räte der Bezirke tatsächlich Parteikader oder waren sie nicht eher Staatsfunktionäre? Waren die Ersten Sekretäre der SED-Bezirksleitungen in der Tat nur "mittlere Kader" oder gehörten sie nicht doch zum Spitzenpersonal? Waren nicht eher die Abteilungsleiter des Zentralkomitees und ihre Stellvertreter, die im Buch unverständlicherweise nicht erscheinen, "mittlere Kader"? Waren Hermann Axen und Erich Mückenberger und Paul Verner und andere wirklich "mittlere Kader", obwohl sie jahrzehntelange Mitglieder des Politbüros und damit des höchsten Führungsgremiums waren? Waren Roland Claus und Heinz Vietze "mittlere Kader" der SED, obwohl sie in die Funktionen, die sie für Aufnahme in dieses Buch qualifizierten, nämlich die von Ersten Sekretären einer Bezirksleitung, erst im November 1989 gewählt wurden, als die SED faktisch bereits zu existieren aufhörte?

Möglicherweise hätte eine gruppenbiographische oder gruppensoziologische Untersuchung eher allgemeingültige Erkenntnisse über die soziale Herkunft, den Entwicklungsweg und die Motivation der "mittleren Kader" gebracht. Aber vielleicht war ja gerade das ja nicht gewollt.

Letzte Änderung: 11. November 2011