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Ausgewählte Artikel - 2010
Neues Deutschland - 16. September 2010

Die Suche nach dem eigenen Weg

Die Erinnerungen des Robert Meeropol, Sohn von Ethel und Julius Rosenberg

Wie geht man mit dem Tod der eigenen Eltern um, wenn man weiß, daß die Eltern - als man selbst noch im frühen Kindesalter war - nicht an einer heimtückischen Krankheit oder durch einen tragischen Unglücksfall starben, sondern auf Verlangen des Staates vorsätzlich getötet wurden? Wie gestaltet und lebt man sein eigenes Leben im Wissen um das Schicksal der Eltern? Die Erinnerungen von Robert Meeropol, dem jüngeren der beiden Söhne von Julius und Ethel Rosenberg, die am 19. Juni 1953 als angebliche Atomspione im New Yorker Staatsgefängnis Sing Sing auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden, sind ein bewegendes Dokument der Zeitgeschichte.

Robert Meeropol schildert, wie er als damals Sechsjähriger die Nachricht vom Tod seiner Eltern erhielt, wie er bei seinem nur wenige Jahre älteren Bruder Michael Schutz suchte, dem einzigen Menschen in jener Zeit, in dessen Nähe er das Gefühl der Sicherheit verspürte. Voller Liebe und Hochachtung berichtet er über das Leben mit Abel und Anne Meeropol, den Adoptiveltern, die das Sorgerecht gegen zahllose Widerstände der Behörden erkämpften und verteidigten. Und von den Brüdern als wirkliche Eltern akzeptiert wurden, auch weil sie sich zeitlebens bemühten, das Vermächtnis der ermordeten leiblichen Eltern zu bewahren, ohne jedoch ihren Schützlingen vordergründig eine Verantwortung für dieses Vermächtnis aufzuerlegen, eine Verantwortung, der die beiden Brüder vielleicht nicht gewachsen gewesen wären.

Der Leser erfährt - und versteht -, warum Robert Meeropol dennoch mehr als ein halbes Leben benötigte, um seinen Platz und seine Aufgabe in dieser Welt zu finden - die Gründung und Leitung des Rosenberg Fund for Children, einer ausschließlich aus Spendenmitteln finanzierten Stiftung, deren Aufgabe darin besteht, den Kindern politisch verfolgter Menschen materielle und damit auch moralische Hilfe zu leisten. Solidarität, wie sie Robert Meeropol und sein Bruder in ihrer Kindheit und Jugend selbst erlebten.

Meeropols Beschreibung seiner Suche nach dem eigenen Weg vermittelt dem Leser vielfältige und überraschende Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt linksintellektueller Aktivisten in den USA, wobei dieser Begriff "links" - das wird sehr schnell deutlich – in den USA anders verstanden wird als der Begriff "links" hier in Europa. Es sind - um es verkürzt zu formulieren - nicht auf langfristige Ziele angelegte politische Parteien und Organisationen, die die Menschen zusammenführen, sondern es sind vor allem zeitlich, räumlich und thematisch begrenzte Vorhaben, wie zum Beispiel die Bewegung gegen die Todesstrafe, festgemacht an konkreten Fällen, die immer wieder neue Konstellationen hervorbringen.

Die Auseinandersetzung mit der Frage der juristischen bzw. ethisch-moralischen Schuld oder Unschuld der leiblichen Eltern, also Ethel und Julius Rosenberg, nimmt in dem Buch naturgemäß einen breiten Raum ein. Bis ins junge Erwachsenenalter war es Teil der Selbstschutzstrategie der beiden Brüder, es als eine unumstößliche Tatsache zu sehen, daß die Eltern in jeder Hinsicht unschuldig und Opfer einer staatlichen Verschwörung zu ihrer Tötung waren. Erst in späteren Jahren, so schildert es Robert Meeropol überzeugend und nachvollziehbar, öffneten sich die Brüder für eine differenziertere Sichtweise.

Zu dieser Entwicklung trug wesentlich bei, daß Robert Meeropol und sein Bruder, unterstützt von engagierten Anwälten, aber auch Nichtregierungseinrichtungen wie dem National Security Archive, die US-Behörden immer wieder - zuletzt im Sommer 2009 - zwangen, im Rahmen des Freedom of Information Act (FIOA) zehntausende Seiten von Akten über den Fall von Ethel und Rosenberg herauszugeben. Besonders wichtig war dabei die Veröffentlichung der sogenannten Venona-Dokumente, der entschlüsselten sowjetischen Funksprüche aus den Jahren zwischen 1941 und 1949.

Ab Mitte der neunziger Jahre begannen die Brüder die Möglichkeit zu akzeptieren, daß Julius Rosenberg zwar kein Atomspion gewesen war, daß er also im Sinne der gerichtlichen Anklage und Verurteilung tatsächlich unschuldig gewesen war, daß er aber auf Grund seiner Überzeugung als Kommunist dem sowjetischen Geheimdienst dennoch wichtige militärische und technische Informationen übermittelt hatte. Deutlich wurde aber auch, daß die Verhaftung und Verurteilung von Ethel Rosenberg einzig und allein das Ziel hatte, Julius Rosenberg unter Druck zu setzen, um ihn zu einem Geständnis zu zwingen, das weitere Menschen belastet hätte.

Ethel und Julius Rosenberg, so die Bilanz ihres jüngsten Sohnes, hatten formal gesetzwidrig, aber unter den konkreten historischen Umständen dennoch legitim gehandelt. Aus Sicht der in den USA Herrschenden und Regierenden hatten sie allerdings schwerste Schuld auf sich geladen, weil sie als Kommunisten dem bestehenden System Widerstand entgegengesetzt hatten.

Robert Meeropol
Als die Regierung entschied, meine Eltern umzubringen
Der Fall Rosenberg. Ein Sohn erzählt
Zambon Verlag Frankfurt am Main 2008
Broschiert, 382 Seiten mit Fotos
ISBN 978-3-88975-152-2
15,00 €

Letzte Änderung: 2. Oktober 2011