Disput - Januar 2009

Open Source

Eine Bewegung im Internet, die an die Ursprünge erinnert

Der Trend ist offensichtlich und wohl nicht mehr umzukehren: Unter der Losung vom Web 2.0 marschiert die Kommerzialisierung des Internets immer weiter voran. Fast täglich entstehen nach dem Vorbild von Facebook oder StudiVz neue, vorgeblich soziale Netzwerke, in denen Menschen miteinander kommunizieren und Beziehungen aufbauen sollen. Doch tatsächlich geht es darum, möglichst viele und differenzierte Informationen über die Mitglieder dieser sogenannten Communities zu sammeln, die für exakt platzierte Werbung genutzt werden können. Auch der hochgelobte usergenerierte Content, die neudeutsche Bezeichnung für Inhalte, die von den Nutzerinnen und Nutzern des Internets kostenlos und zumeist mit großem persönlichem Engagement produziert werden - Texte, Fotos und anderes -, dient mehr und mehr als Umfeld für kommerzielles Marketing.

Ein anderes Feld, bei dem die voranschreitende Kommerzialisierung des Internets möglicherweise noch weitgehendere Folgen hat, ist die Frage des geistigen Eigentums, der Bereitstellung und der Verfügbarkeit von wissenschaftlichen, politischen und soziokulturellen Informationen. Doch gerade hier gibt es eine starke Gegenbewegung, die ständig an Boden gewinnt. Es geht um Open Source, um Software also, die im Internet durch das Zusammenwirken von tausenden Menschen aus allen Teilen der Welt entwickelt und weiterentwickelt wird und die der gesamten Netzgemeinde nicht nur kostenlos zur Verfügung steht, sondern die in ihrer Qualität und Funktionsvielfalt längst viele der renommierten kommerziellen Produkte überholt hat.

Seit etwa 25 Jahren gibt es diese »Freie Software«, das Konzept stammt also aus den legendären Anfangsgründen des Internets. Der Grundgedanke ist einfach: Man braucht eine spezielle Software, die es aber noch nicht gibt. Also entwickelt man diese Software selbst, überlässt sie aber auch anderen zur Nutzung. Und nicht nur das: Man stellt den sogenannten Quellcode zur Verfügung, aus dem erst in einer späteren Phase der für Computer verständliche Maschinencode erzeugt wird. Der Vorteil: Jeder, der die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten hat, kann das Ausgangsprodukt untersuchen, gegebenenfalls Fehler erkennen und beheben und neue Funktionen entwickeln und hinzufügen. Und auch dieser verbesserte Quellcode steht dann wieder kostenlos und allen zur Verfügung, die ihn nutzen oder daran weiterarbeiten wollen.

Inzwischen sind es längst nicht mehr nur kleine und oftmals hoch spezialisierte Programme, die als Open Source existieren. Die größte Erfolgsgeschichte der Open Source-Bewegung ist ohne Frage die Entstehung des Betriebssystems Linux, dessen offizielles Maskottchen der inzwischen weltbekannte Pinguin Tux ist. Linux gibt es heute in zahlreichen sogenannten Distributionen, also in Form von Programmpaketen, in die über das eigentliche Betriebssystem hinaus weitere mehr oder weniger nützliche Programme integriert sind. Die größte Verbreitung haben openSUSE, inzwischen in der Version 11.0, und Ubuntu, nunmehr in der Version 8.10, erlangt. Von Ubuntu gibt es sogar spezialisierte Versionen wie beispielsweise edubuntu, das - wie der Name schon sagt - ausdrücklich für den Einsatz im Bildungssektor entwickelt wurde.

Fast alle diese Linux-Distributionen enthalten das ebenfalls kostenlose Open Office, ein freies Büro-Programm, zu dem Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, ein Präsentationsprogramm usw. gehören. Für ein vergleichbares kommerzielles Programm sind derzeit Euro-Beträge im deutlich dreistelligen Bereich zu zahlen.

Wer als Nutzerin oder Nutzer solcher freien Software Hilfe braucht, weil es bei der Installation vielleicht doch Probleme gibt oder eine spezielle Funktion nicht so läuft, wie das gedacht war, bekommt diese Hilfe in zahlreichen Foren im Internet, die auch - und in wachsender Zahl - in deutscher Sprache betrieben werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Form des Support häufig wirksamer ist als die Hilfe, die von kommerziellen Anbietern zumeist über kostenpflichtige Hotlines angeboten wird.

In einem ganz speziellen Bereich wird der Vorteil von Open Source besonders deutlich: bei sicherheitsrelevanten Programmen. Angesichts der sehr konkreten Pläne zahlloser Regierungsbehörden in aller Welt zur Totalüberwachung des Internets und seiner Nutzerinnen und Nutzer - für Deutschland mag nur an das Stichwort »Bundestrojaner« erinnert werden - ist es durchaus sinnvoll, sensible Daten auf dem eigenen Rechner oder auch die Kommunikation mit Dritten zu verschlüsseln. Wer sich dabei auf kommerzielle Produkte verlässt, kann nie wirklich sicher sein, dass sie nicht doch sogenannte Hintertüren enthalten, die es einem Geheimdienst gegebenenfalls möglich machen, die Verschlüsselung zu umgehen. Nutzt man jedoch Open-Source-Software, dann hat man die Gewissheit, dass es solche Hintertüren nicht gibt. Denn der Quellcode liegt ja offen. Und auch wenn man selbst nicht in der Lage ist, diesen Code zu prüfen. Andere Mitglieder der Open-Source-Gemeinschaft können das, und sie tun es auch. Und sie würden lautstark darauf aufmerksam machen, wenn es verdächtige Bestandteile in diesen Programmen gäbe.

Für die Verschlüsselung von großen Datenbeständen, ja ganzen Festplatten, ist das Programm TrueCrypt besonders geeignet. Es bietet sogar die Möglichkeit der doppelten Verschlüsselung: Innerhalb eines verschlüsselten Bereiches kann ein zusätzlicher verschlüsselter Bereich eingerichtet werden, der für einen Außenstehenden nicht als solcher zu erkennen ist. Je nach dem, welches Passwort eingeben wird, wird der eine oder der andere verschlüsselte Bereich freigegeben.

Für die Kommunikation, also den Versand von eMails, bietet sich das Programm OpenPGP an. Es ist, zugegeben, ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber letztlich in der Handhabung auch für einen durchschnittlichen Nutzer geeignet.

Inzwischen hat Open Source einen so guten Ruf, dass auch große kommerzielle Software-Produzenten die Entwicklung quelloffener Programme unterstützen. Vor zwei Jahren zum Beispiel hat die weltweit operierende Sun Microsystems Inc. Teile der Entwicklungsumgebung Java freigegeben. Selbstverständlich nicht ganz selbstlos: Sun-Produkten wurde damit der Weg in verschiedene Linux-Distributionen freigemacht, vor allem aber bedeutete es für den Konzern einen gewaltigen Imagegewinn. Auch beim Software-Giganten Microsoft spielt man daher inzwischen mit dem Gedanken, zumindest Programmteile als Open Source zur Verfügung zu stellen.

Open Source ist längst eine Bewegung, die weit über das Thema Software hinausgeht. Für die vielen zehntausend Akteure in fast allen Teilen der Welt geht es in einem viel weiteren Sinne nun darum, das Wissen an sich zu »befreien«. Es bleibt spannend im Internet, trotz Web 2.0.

Autor: Ronald Friedmann
Ausgedruckt am: 26. April 2024
Quelle: www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2009/open-source/