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Ausgewählte Artikel - 2009
Disput - Oktober 2009

Die Losung

Vor 80 Jahren forderte die KPD: "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!"

Am 5. November 1929 veröffentlichte Heinz Neumann, zu jener Zeit als Kandidat des Politbüros und Chefredakteur der "Roten Fahne" einer der einflußreichsten Männer in der Führung der KPD, in der zentralen Parteizeitung einen Leitartikel, der sich explizit mit einer "entscheidenden Etappe auf dem Wege des Vormarsches der Nationalsozialisten" befaßte: Bei einem Volksbegehren für ein sogenanntes Freiheitsgesetz hatten Hitler und seine Bande mehr als vier Millionen Wähler mobilisieren können. Nach dem bei den vorangegangenen Reichstagswahlen im Mai 1928 bereits mehr als zweieinhalb Millionen Stimmen für die Nazipartei abgegeben worden war, begann sich in der Führung der KPD nun doch schrittweise die Erkenntnis durchzusetzen, daß der Faschismus in Deutschland, verkörpert durch Hitler und seine Partei, zu einer ernsthaften und sehr realen Gefahr geworden war. In seinem Leitartikel forderte Neumann deshalb, daß die KPD "den radikalisierten Arbeitermassen, und gerade jenen, um die die soziale Demagogie der Hakenkreuzler wirbt, mit verdoppelter Kraft die Richtigkeit der bolschewistischen Politik durch die Tat beweisen" müsste. Doch dann, am Schluß des Artikels, beinahe versteckt am Ende der linken Spalte auf der Seite 2, folgte die auf den ersten Blick sympathische, in ihrer Konsequenz aber fatale Losung, die in den folgenden Monaten die Politik der KPD bestimmen sollte: "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!"

Die Losung war im Grunde nicht neu. Bereits 1924 hatte die damalige linksradikale Führung der KPD um Ruth Fischer und Arkadij Maslow - allerdings weitgehend folgenlos - an die Mitglieder des paramilitärischen Rotfrontkämpferbundes appelliert: "Schlagt die Nazis, wo ihr sie trefft." Damals hatte sich die Losung in erster Linie gegen den "Stahlhelm" gerichtet, einen rechtsradikalen, nationalistischen Zusammenschluß ehemaliger Frontsoldaten, die die deutschen Waffentaten im Ersten Weltkrieg feierten und vor allem Revanche für die militärische und politische Niederlage des Jahres 1918 forderten.

Und im August 1929, wenige Tage nach einem propagandistisch inszenierten Parteitag der Hitlerpartei in Nürnberg, hatte es in der "Roten Fahne" geheißen: "Schlagt die Nazis und die SPD!" Denn seit 1924 "wußte" die KPD durch eine Grundsatzrede Stalins auf dem V. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, daß Faschismus und Sozialdemokratie als "zwei Seiten ein und desselben Werkzeugs" der "großkapitalistischen Diktatur" und als "Zwillingsbrüder" zu betrachten waren. Die Verteufelung der Sozialdemokraten als Sozialfaschisten, die in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren zum "Katechismus" der kommunistischen Bewegung gehörte, hatte hier ihren Anfang gehabt.

Die Losung "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!", wie sie von Neumann im November 1929 verkündet worden war, richtete sich also gleichermaßen gegen die Nazis und gegen die Sozialdemokraten, die eigentlich Verbündete der Kommunisten im Kampf gegen den Faschismus hätten sein müssen. Mehr noch, dem individuellen Terror gegen die kleinen Nazis und die "kleinen Zörgiebel"(1) wurde nun de facto der Vorrang vor der politischen Auseinandersetzung eingeräumt.

Es war ganz offensichtlich, daß die KPD zu diesem Zeitpunkt über keinen hinreichend klaren Faschismusbegriff verfügte. Das war um zu erstaunlicher, als beispielsweise Clara Zetkin bereits im Frühsommer 1923 in einer bis heute aus unverständlichen Gründen nur wenig beachteten Rede grundsätzliche Überlegungen zum Verständnis des Faschismus dargelegt hatte: "Das Proletariat hat im Faschismus einen außerordentlich gefährlichen und furchtbaren Feind vor sich. Der Faschismus ist der stärkste, der konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick." Und weiter: Der Faschismus "ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, daß das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Rußland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat. Und der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern es sind breite soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Über diese wesentlichen Unterschiede müssen wir uns klar sein, wenn wir mit dem Faschismus fertig werden wollen. Wir werden ihn nicht auf militärischem Wege allein überwinden – um diesen Ausdruck zu gebrauchen –, wir müssen ihn auch politisch und ideologisch niederringen."

Die Unzulänglichkeit der Neumannschen Losung wurde sehr bald offensichtlich: Bereits ein halbes Jahr nach dem Artikel in der "Roten Fahne" sah sich die Führung der KPD zu einer ersten vorsichtigen Korrektur des von Heinz Neumann verkündeten radikalen Kurses veranlaßt: In einem Beschluss vom 4. Juni 1930 stellte das Politbüro fest, daß "eine Differenzierung zwischen den faschistischen Führern und den irregeführten Massen ihrer werktätigen Anhänger notwendig" sei. Und weiter: "Daher ist die schematische Anwendung der Losung 'Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!' im gegenwärtigen verschärften Stadium des Kampfes unzweckmäßig." Im August 1930 versuchte die KPD mit einer "Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes" in die politische Offensive gegenüber dem deutschen Faschismus zu gelangen. Doch erst im November 1931 folgte mit einem entsprechenden ZK-Beschluß auch eine endgültige und grundsätzliche Absage an den individuellen Terror, der sich - wenn auch von der Parteiführung so nicht wirklich gewollt und schon gar nicht gefördert - vor allem gegen die "kleinen" Mitglieder der Nazipartei gerichtet hatte, die eigentlichen Drahtzieher im Hintergrund aber ignorierte. In der "Roten Fahne" vom 13. November 1931 konnte man also lesen: "Ohne auch nur einen Augenblick lang auf die Anwendung aller zweckmäßigen Kampfmittel zu verzichten, ohne auch nur im geringsten die kommunistische Losung des organisierten proletarischen Massenselbstschutzes gegen faschistische Überfälle und Gewalttaten einzuschränken, erklärte das Zentralkomitee jede Verfechtung oder Duldung der terroristischen Ideologie und Praxis für vollkommen unzulässig. Wer sich von Verzweiflungsstimmungen mitreißen läßt, wer sich von den Feinden des Proletariats sein verhalten diktieren läßt, wer den faschistischen Provokateuren nachgibt, wer die Parteidisziplin bricht, ist des Namens eines Kommunisten unwürdig."

Doch diese Kurskorrektur war bestenfalls halbherzig, denn die KPD-Führung war nach wie vor nicht bereit, auf den Kampf gegen die Sozialdemokratie zu verzichten. Im Gegenteil, die Schwächung der Sozialdemokratie wurde weiterhin als Voraussetzung für einen wirksamen Kampf gegen den Faschismus gesehen. Hier gab es eine Kehrtwende erst im Sommer 1935. Doch da war der Faschismus in Deutschland schon mehr als zwei Jahre an der Macht.

Anmerkung

(1) Der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel war für den brutalen Einsatz der Polizei gegen demonstrierende Arbeiter am 1. Mai 1929 verantwortlich gewesen, bei dem es mehr als 30 Tote gegeben hatte. In der Folge wurde er zum Symbol des Antikommunismus in der deutschen Sozialdemokratie.

Letzte Änderung: 2. Oktober 2011