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Ausgewählte Artikel - 2009
LinksBlick (Jüterbog) - Mai 2009

60 Jahre Grundgesetz

Historischer Rückblick

Genau genommen dürfte es das Grundgesetz, dessen 60. Jahrestag in diesem Monat mehr oder weniger feierlich begangen wird, gar nicht mehr geben. Denn eigentlich war (und ist) für den 1990 eingetretenen Fall im noch immer gültigen Artikel 146 vorgesehen, daß das jahrzehntelange Provisorium Grundgesetz "nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands" durch eine Verfassung ersetzt werden soll, "die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Der Bundestag setzte sich bekanntlich über diese Grundgesetzbestimmung hinweg, bis zum heutigen Tag gab es keine Volksabstimmung über eine gemeinsame deutsche Verfassung.

Doch nicht nur in dieser Hinsicht wurden in den Jahren seit 1990 viele Möglichkeiten und Chancen vertan: Dem Osten wurde viel Altes – und nur selten wirklich Bewährtes - einfach übergestülpt: Es war keine Vereinigung, es war ein Anschluß.

Auch die gegenwärtige Verfassungspraxis der Herrschenden und der Regierenden muß mit großer Skepsis gesehen werden: Immer wieder wird heftig an den Schranken gerüttelt, die die "Mütter und Väter" des Grundgesetzes 1949 aus gutem Grund gesetzt hatten.
Im Jahre 1993 beispielsweise wurde das im Grundgesetz festgeschriebene Asylrecht faktisch abgeschafft. Durch eine "großzügige" Interpretation bestehender grundgesetzlicher Beschränkungen durch das Bundesverfassungsgericht wurden ab 1994 Auslandseinsätze der Bundeswehr möglich gemacht. Krieg wurde so wieder zum scheinbar legitimen Instrument der Politik.

Und nicht nur der Bundesinnenminister, der von Amts wegen eigentlich der oberste Verfassungsschützer zu sein hätte, fordert immer wieder eine weitere Aushöhlung des Grundgesetzes, um die Bundeswehr auch im Landesinnern einsetzen zu können.

Auch in scheinbar weniger dramatischen Fragen wird die Grundgesetzänderung immer mehr zum "Königsweg" der Politik: Als Ende 2007 das Bundesverfassungsgericht entschied, daß die Organisation der Hartz-IV-Arbeitsgemeinschaften aus Bund und Kommunen mit dem Grundgesetz unvereinbar sei, wurde von der Großen Koalition in Berlin nicht etwa eine Änderung der entsprechenden Hartz-IV-Gesetze auf den Weg gebracht, sondern eine Grundgesetzänderung. (Die allerdings vor wenigen Wochen aus wahltaktischen Erwägungen im Vorfeld der Bundestagswahlen scheiterte.)
Es muß wohl nicht extra erwähnt werden, daß DIE LINKE diesen verderblichen Spielen mit dem Grundgesetz regelmäßig Widerstand entgegensetzt. Sie steht damit in einer bemerkenswerten Tradition: Im Mai 1949 hatte der damalige KPD-Vorsitzende im Namen seiner Fraktion im Parlamentarischen Rat erklärt: "Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, daß wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben."

Letzte Änderung: 2. Oktober 2011