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Ausgewählte Artikel - 2008
Neues Deutschland - 12. März 2008

"Kled" bei der BBC

Die ersten Kommentare von Schnitzler (Rezension)

Nein, der Weg des Journalisten Karl-Eduard von Schnitzler begann nicht bei Radio Moskau, auch wenn das gut in das Weltbild seiner Gegner und Feinde gepasst hätte: Seinen ersten Kommentar sprach "Kled", wie ihn seine Freunde und Genossen seit der Zeit in der Sozialistischen Arbeiterjugend nannten, am 10. Juni 1944 über die BBC in London - in der Sendereihe: "Hier sprechen deutsche Kriegsgefangene zur Heimat". Bis zum 8. Mai 1945 wandte sich Schnitzler, der ehemalige Wehrmachtsoldat, viele Male an seine Landsleute, in der Hoffnung, sie in letzter Stunde zu eigenem Handeln gegen Hitler zu bewegen. Vergeblich, wie man weiß.

Im vorliegenden Buch sind rund 30 seiner Beiträge für die BBC aus der Zeit zwischen dem 9. November 1944 und dem 25. Mai 1945 abgedruckt, Teil einer Auswahl, die Schnitzler vor Jahren selbst vorgenommen hatte. Er starb jedoch, bevor er sie veröffentlichen konnte. Allerdings hatte er bereits in seiner 1989 erstmals erschienenen Autobiografie ("Meine Schlösser oder Wie ich mein Vaterland fand") das politische Konzept der Londoner Beiträge beschrieben: "Antifaschistisch-demokratisch, alles für das Ende des Krieges. Wahrheit über die deutsche Geschichte. Wir machten ehrliche Politik für ein neues Deutschland, wollten zur Rückkehr Deutschlands in die Gemeinschaft der Völker beitragen."

Unmittelbar nach Kriegsende entlassen, wurde Schnitzler an den Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) in der britischen Besatungszone berufen. Zunächst arbeitete er in Hamburg, ab Oktober 1945 dann in Köln, wo er zeitweise als Intendant des NWDR amtierte und die Hauptabteilune Politik des Senders leitete. Der Zeit in Köln ist der zweite große Komplex des Buches gewidmet - etwa 25 Beiträge, vom 17. Januar 1946 bis zum 22. Oktober 1947. Bemerkenswert ist, dass Schnitzler schon damals die Rolle des Journalisten nicht nur darin sah, über Ereignisse zu berichten und diese zu kommentieren, sondern auch und vor allem darin, selbst Anstöße zu geben, um anstehende Probleme zu einer Klärung zu bringen. Deutlich wurde das nicht zuletzt in seinem damals heftig umstrittenen Beitrag "Über Spruchgerichte und Internierte" vom 25. August 1947, der in der demokratischen Öffentlichkeit Westdeutschlands massive Proteste auslöste und gerade dadurch sein Ziel erreichte.

Spätestens Ende 1947 wurde Schnitzler wegen seiner konsequent antifaschistischen Grundhaltung beim NWDR endgültig zum Störfaktor. Schließlich ging es darum, die Bevölkerung Westdeutschlands ideologisch für den Kalten Krieg aufzurüsten. Schnitzler wurde entlassen und ging nach Ostberlin, wo er beim Berliner Rundfunk und beim Deutschlandsender eine neue Wirkungsmöglichkeit fand.

Von Heinz Grote, einem langjährigen Kollegen, stammen die aufschlussreichen Zwischentexte. Anlass für dieses Buch ist übrigens der bevorstehende 90. Geburtstag von "Kled" am 28. April.

Karl-Eduard von Schnitzler, Frühe Denkanstöße. Erste Rundfunkkommentare 1944-1947, NORA, Berlin 2008, 204 S., br., 17,50 Euro.

Letzte Änderung: 2. Oktober 2011