Ausgewählte Artikel - 2008
Ein deutscher Jahrestag
Die Machtübergabe an Hitler und die Nazipartei vor fünfundsiebzig Jahren war kein "Betriebsunfall der Geschichte"
Bei eisiger Kälte, die Thermometer zeigten Temperaturen um 18 Grad unter Null, zogen am 25. Januar 1933 mehr als 130.000 Menschen - Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Antifaschisten - vor das Berliner Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Kommunistischen Partei Deutschlands, um mit einer Großkundgebung gegen einen Aufmarsch der SA zu protestieren, der drei Tage zuvor in höchst provokatorischer Absicht an gleicher Stelle stattgefunden hatte.
Doch das Bild einer parteiübergreifenden Entschlossenheit, der unmittelbar drohenden Gefahr einer faschistischen Diktatur in Deutschland mit vereinter Kraft entgegenzutreten, täuschte: Als am 30. Januar 1933 Reichspräsident von Hindenburg Hitler mit der Regierungsbildung beauftragte, blieb der Aufruf der KPD zum Generalstreik ungehört. Der Parteivorstand der SPD verwies in einer Erklärung vom 31. Januar 1933 auf die durchaus zutreffende Tatsache, daß Hitler und seine Partei auf legalem Wege, also ganz in Übereinstimmung mit den Bestimmungen der Weimarer Verfassung, die Regierungsgewalt übernommen hatten. Jeder Aufruf zum Kampf würde daher nur einen Vorwand zu schärferem Eingreifen liefern. Nicht nur die Straße gehörte nun der Nazipartei und ihren Schlägertruppen.
Am 1. Februar 1933 löste Reichspräsident Hindenburg auf Wunsch des nunmehrigen Reichskanzlers Hitler den Reichstag auf und setzte Neuwahlen für den 5. März 1933 an. Am 4. Februar 1933 erließ er die Verordnung zum "Schutz des deutschen Volkes", die Kritik an der Regierung unter Strafe stellte und die Versammlungs- und Pressefreiheit erheblich einschränkte. Eine wirksame Vorbereitung der demokratischen Parteien auf die Reichstagswahlen war damit faktisch unmöglich gemacht worden. Knapp vier Wochen später, in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933, brannte schließlich der Reichstag.
Die Flammen waren noch nicht gelöscht, da wurde bereits von der Naziregierung die kommunistische Bewegung lautstark zur Schuldigen erklärt, und auf der Grundlage des Artikels 48 der Weimarer Verfassung wurde "zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte" eine weitere Notverordnung verkündet, diesmal unter dem Namen "Zum Schutz von Volk und Staat": Mittels eines Verfassungsartikels wurde die Verfassung selbst außer Kraft gesetzt. Alle bürgerlichen Rechte und Freiheiten waren faktisch aufgehoben - und blieben es bis zum letzten Tag der Naziherrschaft.
Innerhalb weniger Tage wurde Tausende Antifaschisten - unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit - Opfer einer gewaltigen Verhaftungswelle, bei der SA offiziell die Rolle einer Hilfspolizei übernommen hatte. Die ersten Konzentrationslager entstanden, in denen gefoltert und gemordet wurde. Die KPD wurde faktisch in die Illegalität getrieben, ihr Vorsitzender Ernst Thälmann am 3. März 1933 verhaftet.
Trotz des allgegenwärtigen Terrors erhielt die Nazipartei bei den Reichstagswahlen am 5. März nicht die gewünschte absolute Mehrheit der Stimmen und Sitze. Kurzerhand wurden deshalb die 85 Mandate der KPD annulliert, und am 23. März 1933 konnte der Reichstag - gegen die Stimmen der verbliebenen 94 SPD-Abgeordneten (26 waren bereits verhaftet oder emigriert) - ganz "legal" das sogenannte Ermächtigungsgesetz "zur Behebung der Not von Volk und Reich" beschließen, das Hitler unbeschränkte diktatorische Vollmachten gewährte.
Am 2. Mai 1933 wurden die freien Gewerkschaften zerschlagen. Sechs Wochen später schließlich, am 22. Juni 1933, folgte auch das Verbot der SPD. Bis zum 6. Juli 1933 lösten sich die bürgerlichen Parteien selbst auf.
Innerhalb von nur vier Monaten war die faschistische Diktatur in Deutschland etabliert. Die demokratischen Institutionen der Weimarer Republik waren zerstört oder bis zur Unkenntlichkeit deformiert. Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte hatte begonnen.
Man kann dem immer wieder als marxistisch apostrophierten britischen Historiker Eric Hobsbawm in keiner Weise darin zustimmen, daß das "Großunternehmertum", wie er in seinem wohl bekanntesten Buch "Das Zeitalter der Extreme" schrieb, "Hitler nicht ausdrücklich herbeigewünscht" hätte. Das Gegenteil war der Fall, denn anders ist es wohl nicht zu erklären, warum zum Beispiel am 4. Januar 1933 ausgerechnet in der Villa eines Kölner Großbankiers darüber verhandelt wurde, wie die Ernennung Hitlers als Reichskanzler zu bewerkstelligen sei. Und schließlich war die "Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft", die ab dem 1. Juni 1933 erhoben wurde, zumindest für ihre Begründer, die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und der Reichsverband der Deutschen Industrie, eine freiwillige Angelegenheit.
Es sind stets die großen wirtschaftlichen Interessen, die hinter politischen Entwicklungen stehen. Auch dies ist eine Lehre des Jahres 1933, die bis heute Gültigkeit hat. Genau wie die Erkenntnis, daß der Abbau bürgerlicher Rechte niemals dem Schutz dieser Rechte dienen kann.
Letzte Änderung: 2. Oktober 2011