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Ausgewählte Artikel - 2008
Disput - Dezember 2008

Die Partei

Die Geschichte der KPD im Spiegel eines biographischen Handbuches

»Die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands vor neunzig Jahren, am 31. Dezember 1918 und 1. Januar 1919, war eines der folgenreichsten Ergebnisse der Novemberrevolution.« Dieser Satz aus einer in diesen Tagen veröffentlichten Stellungnahme zum bevorstehenden Jahrestag der Gründung der KPD ist nicht falsch, im Gegenteil. Doch er beschreibt nur einen Teil der historischen Wahrheit. Denn er übergeht die Tatsache, dass auch die KPD zu jedem Zeitpunkt ihrer Geschichte ein lebendiger Organismus war, der aus einzelnen Menschen bestand. Und diese Menschen gaben durch ihr ganz individuelles Tun und Lassen, ihr Denken und Fühlen und das daraus abgeleitete persönliche Handeln der Partei und den Episoden, aus denen die Geschichte der Partei bestand, stets eine ganz spezielle Prägung. Das Buch »Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945« aus dem Berliner Karl Dietz Verlag, dessen zweite überarbeitete und erweiterte Auflage hier vorgestellt werden soll, ist der dankenswerte Versuch, diese einzelnen Menschen und ihr Schicksal aus der Vergangenheit in das Bewusstsein der historisch interessierten Menschen der Gegenwart zurückzuholen.

Es macht zugleich einen Wert dieses Buches aus, dass die Autoren Hermann Weber und Andreas Herbst »Deutsche Kommunisten« eben nicht ausschließlich mit den Parteimitgliedern der KPD gleichsetzen, sondern dass sie ausdrücklich auch herausragende Persönlichkeiten jener nicht wenigen rechts- und linkskommunistischen Gruppierungen - wie beispielsweise die Kommunistische Arbeiterpartei oder den Leninbund - berücksichtigen, die in dem von ihnen behandelten Vierteljahrhundert vor allem im Widerstreit mit der KPD existierten und agierten.

Die personelle Vielfalt der KPD, und damit in gewisser Weise auch die Vielzahl der möglichen, aber letztlich nicht beschrittenen Entwicklungswege der Partei, wird bereits erkennbar, wenn man aus den fast 1.700 Kurzbiographien des »Handbuches« nur die mehr oder weniger ausführlichen Berichte über jene Persönlichkeiten herausgreift, die zwischen 1918 und 1945 de facto oder tatsächlich - für einen kürzeren oder längeren Zeitraum - an der Spitze der Partei standen: Paul Levi (1883-1930), Ernst Meyer (1887-1930), Heinrich Brandler (1881-1967), August Thalheimer (1884-1948), Hermann Remmele (1880-1939), Ruth Fischer (1895-1961), Arkadij Maslow (1891-1941), Philipp Dengel (1888-1948), Ernst Thälmann (1886-1944), Wilhelm Pieck (1876-1960). Denn diese Namen widerspiegeln nicht allein eine Vielzahl von zum Teil tragischen Einzelschicksalen, sie stehen sinnbildlich auch für das Schicksal der gesamten Partei:

Paul Levi trat im Februar 1921 wegen grundsätzlicher Meinungsverschiedenheiten mit der Komintern in Moskau als Parteivorsitzender zurück, zwei Monate später wurde er wegen seiner öffentlichen Kritik an der ultralinken Politik der KPD aus der Partei ausgeschlossen. Ernst Meyer stabilisierte als Parteivorsitzender die KPD nach den putschistischen Märzereignissen 1921. Im Herbst 1922 wurde er wegen vorgeblicher Rechtsabweichungen von Heinrich Brandler gestürzt. Er starb 1930, bevor er als sogenannter Versöhnler aus der KPD ausgeschlossen werden konnte. Heinrich Brandler und August Thalheimer, die im Februar 1923 die Führung der KPD übernahmen, verloren ihre Posten nach dem gescheiterten »Deutschen Oktober« 1923 im Februar 1924 an Hermann Remmele, der als Parteivorsitzender bis zum Frankfurter Parteitag im April 1924 amtierte. Heinrich Brandler und August Thalheimer wurden im Januar 1929 aus der Partei ausgeschlossen, ihr Versuch, mit der KPD (Opposition) eine parteipolitische Alternative zu schaffen, scheiterte. Hermann Remmele setzte zunächst seine Karriere in der Führung der KPD fort, bis er im Herbst 1932 wegen »Fraktionstätigkeit« alle Funktionen verlor. Im März 1939 wurde er in der Sowjetunion wegen »Teilnahme an einer konterrevolutionären terroristischen Organisation« erschossen. Ruth Fischer und Arkadij Maslow übernahmen im April 1924 de facto den Vorsitz der KPD. Da Arkadij Maslow bereits im Mai 1924 verhaftet wurde, war es Ruth Fischer, die - als erste Frau in Deutschland überhaupt - nun an der Spitze der Partei stand. Ihr Ego war den politischen Erfordernissen nicht gewachsen. Sie und Arkadij Maslow wurden im Sommer 1925, wenige Tage nach ihrer Wiederwahl auf dem 10. Parteitag der KPD, auf Betreiben der Komintern in Moskau durch Ernst Thälmann und Phillipp Dengel abgelöst. Ernst Thälmann wurde auf der Reichskonferenz der KPD im Herbst 1925 alleiniger Vorsitzender der KPD und blieb dies formell auch nach seiner Verhaftung am 3. März 1933. Ruth Fischer und Arkadij Maslow wurden im November 1925 aus dem ZK und dem Politbüro der KPD ausgeschlossen, ihr Parteiausschluss folgte im Sommer 1926. Ernst Thälmann wurde nach mehr als elf Jahren Haft am 18. August 1944 ermordet. Vergeblich und voller blindem Vertrauen hatte er gehofft, dass sich sein politischer Mentor Stalin für seine Freilassung einsetzen würde. Im Oktober 1935, auf der »Brüsseler Konferenz« der KPD, die in Moskau stattfand, wurde Wilhelm Pieck »für die Dauer der Inhaftierung des Genossen Thälmann« zum amtierenden Vorsitzenden der KPD ernannt. Doch die KPD war zu diesem Zeitpunkt als Partei bereits zerschlagen. Sie existierte nur noch als Funktionärskorps in der Emigration und vor allem durch den heldenhaften antifaschistischen Widerstandskampf einer im Vergleich zu früheren Mitgliederzahlen kleinen Zahl einfacher Kommunisten, die »im Reich« geblieben waren und ihr mutiges Handeln oft mit dem Leben oder vielen Jahren Haft bezahlten. Wilhelm Pieck starb im September 1960, hoch geehrt, aber politisch weitgehend einflusslos, als erster (und einziger) Präsident der DDR.

Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, detailliert die einzelnen Auswahlkriterien für die Aufnahme bestimmter Biographien in das »Handbuch« zu kommentieren (Seite 49 f.) So mag, um zugleich eine Grundtendenz des »Handbuches« zu verdeutlichen, der Hinweis genügen, dass »Opfer der Stalinschen Säuberung« (Seite 50) ein solches Kriterium war, nicht aber »Opfer des faschistischen Terrors«. (Was angesichts der maßgeblichen Autorenschaft von Hermann Weber allerdings kaum verwundern dürfte.)

Das Buch ist auch sonst nicht frei von Mängeln, eine gewisse Skepsis bei der Nutzung ist jederzeit angebracht. Das betrifft nicht nur die oftmals tendenziöse Wortwahl bei der Beschreibung biographischer Geschehnisse. (Auffallend ist der Eindruck, dass eine pejorative Wortwahl vor allem dann zu finden ist, wenn die Person, um die es geht, in späteren Jahren eine mehr oder weniger wichtige Rolle beim Aufbau der DDR spielte.) Das betrifft in vielleicht noch größerem Maße die Ungenauigkeiten oder sogar sachlich falschen Darstellungen, die zum Teil seit vierzig Jahren - seit dem ersten Versuch der Erstellung eines biographischen Nachschlagewerkes zur Geschichte der KPD durch Hermann Weber im Rahmen seiner zweibändigen »Die Wandlung des deutschen Kommunismus« - durch die einschlägige Literatur geistern und auch in dieser Publikation ein weiteres Mal ungeprüft übernommen wurden.

Dessen ungeachtet ist das »Biographische Handbuch« - trotz seines hohen Preises - ein unverzichtbares Werkzeug, das nach Möglichkeit in die Bibliothek jedes Historikers oder historisch Interessierten gehört.

Hermann Weber, Andreas Herbst
Deutsche Kommunisten
Biographisches Handbuch 1918 bis 1945
Überarbeitete und stark erweiterte Auflage
Karl Dietz Verlag Berlin 2008
1168 Seiten, ca. 950 Abb., gebunden
70,00 EUR

Letzte Änderung: 2. Oktober 2011