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Ausgewählte Artikel - 2008
junge Welt - 2. August 2008

Das Büro

Vor hundert Jahren wurde das FBI als "Bureau für Ermittlungen" gegründet

Die Geschichte der wohl berühmtesten Polizeibehörde der Welt begann lange vor ihrer Gründung. Schon 1886 hatte das Oberste Gericht der USA festgestellt, daß eine Bundesbehörde notwendig sei, die über die Grenzen der Bundesstaaten hinweg polizeiliche Ermittlungen durchführen könne. Doch es dauerte mehr als zwei Jahrzehnte, bis diese Behörde, aus der schließlich das heutige FBI hervorging, dann am 26. Juli 1908 auch gegründet wurde. Ihre erste offizielle Aufgabe bestand darin, das "Gesetz gegen weiße Sklaverei" durchzusetzen, was in erster Linie die Überwachung und Durchsuchung von Bordellen beinhaltete.

1924 wurde J. Edgar Hoover Chef des - ab 1935 auch so bezeichneten - FBI, und er blieb es 48 Jahre, bis zu seinem Tod im Mai 1972. In diesem knappen halben Jahrhundert häufte Hoover eine völlig unkontrollierte persönliche Macht an, die in erster Linie aus den zahllosen Informationen resultierte, die seine Behörde im Verlauf der Jahre über jeden wichtigen und einflußreichen US-Bürger unter Nutzung aller gesetzlichen und vor allem ungesetzlichen Möglichkeiten sammelte: Hoovers privates Archiv mit seinen brisanten und hochsensiblen Inhalten war die Garantie dafür, daß kein US-Präsident von Calvin Coolidge bis Richard Nixon auch nur auf die Idee kam, den Chef der Bundesbehörde aus seinem Amt abberufen zu wollen. Erst nach dem Tod von Hoover wurde ein Gesetz beschlossen, daß die Amtszeit eines FBI-Direktors auf zehn Jahre begrenzt.

Künstler auf der Liste

Einen gewissen Ruf erwarben sich Hoover und das FBI in den 1930ern mit dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Hoover, der schon sehr früh die Bedeutung der Massenmedien erkannte, ließ spektakuläre Verhaftungsaktionen inszenieren, über die die Zeitungen, das Radio und die Wochenschauen in den Kinos ausführlich berichteten.

Doch im Mittelpunkt der Tätigkeit des FBI stand zu dieser Zeit bereits die Bekämpfung der "ausländischen Subversion", wobei dieser Begriff sowohl das Vorgehen gegen die US-amerikanische Kommunistische Partei und andere demokratische Kräfte als auch gegen nazideutsche und japanische Agenten beinhaltete. 1939 erhielt das FBI offiziell den Status eines Inlandsgeheimdienstes, dem auch die Spionageabwehr übertragen war. Allerdings war das FBI, das in dieser Frage mit anderen staatlichen Behörden faktisch konkurrieren mußte, letztlich nicht in der Lage, wirklich schwerwiegende Einbrüche in die zu schützende Sphäre zu verhindern: Den sowjetischen Geheimdiensten gelang es beispielsweise, unter den Augen des FBI, die kompletten Baupläne der ersten US-amerikanischen Atombombe zu beschaffen.

Spätestens ab 1947 entwickelte sich eine - wie kritische Publizisten in den USA es heute nennen - beinahe symbiotische Beziehung zwischen Hoovers FBI und dem Komitee für Unmerikanisches Verhalten (HUAC) des US-Kongresses, das über viele Jahre hinweg zum wichtigsten Instrument wurde, um mißliebige Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit als Kommunisten zu denunzieren und damit in ihrer Existenz unmittelbar zu bedrohen. Doch nur in den wenigsten Fällen richteten sich die gemeinsamen Attacken von HUAC und FBI tatsächlich gegen Kommunisten - schon deshalb, weil die Kommunistische Partei der USA niemals auch nur annähernd die Rolle spielte, die ihr aus offensichtlichen Gründen von ihren Feinden zugesprochen wurde. Das lautstarke und krawallartige Auftreten eines Joseph McCarthy allerdings, der seinen persönlichen antikommunistischen Feldzug im Februar 1950 öffentlichkeitswirksam mit einer angeblichen Liste von hunderten Kommunisten im US-Außenministerium begonnen hatte, lehnte Hoover ab. Er bevorzugte - bei gleicher Zielstellung und Militanz - zumeist subtilere, langfristig wirkende Methoden.

Legende sind inzwischen die zahllosen Akten, die das FBI bis in die sechziger und frühen siebziger Jahre hinein auch über bedeutende Intellektuelle und Künstler - US-Amerikaner und Ausländer - anlegte und führte: Louis Armstrong, Bertolt Brecht, Charles Chaplin, Albert Einstein, Hanns Eisler, Duke Ellington, Erich Fromm, Clark Gable, Ernest Hemingway, John Lennon, Thomas Mann, Paul Robeson ... Diese Liste ließe sich beinahe beliebig fortsetzen.

Eine maßgebliche Rolle spielte das FBI beim Justizmord an Julius und Ethel Rosenberg, die am 19. Juni 1953 als angebliche Atomspione im New Yorker Staatsgefängnis Sing Sing auf dem elektrischen Stuhl getötet wurden. In den sechziger Jahren war es der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King, den das FBI und FBI-Chef Hoover persönlich mit besonderem Haß verfolgten. Als King am 4. April 1968 in Memphis von einem angeblichen Einzeltäter erschossen wurde, waren FBI-Agenten zugegen: Bis heute besteht der - inzwischen auch von einem ordentlichen Gericht bekräftigte - Verdacht, daß das FBI in eine Verschwörung gegen Martin Luther King verwickelt war.

Problem mit 9/11

Nach dem Tod Hoovers wurden in der nicht zuletzt durch die Watergate-Affäre alarmierten US-amerikanischen Öffentlichkeit schrittweise die zahllosen Rechtsverletzungen durch das FBI und sein systematischer Mißbrauch für politische Zwecke bekannt. Eine tiefgehende Reorganisation der Behörde, die sowohl Polizei als auch Geheimdienst war, wurde in Angriff genommen. Doch der gewaltige Apparat wurde in letzter Konsequenz in seinem Wesen und Wirken kaum verändert, obwohl das FBI 1978 einer umfassenden Kontrolle durch einen speziellen Ausschuß des Kongresses unterstellt wurde.

Eine entscheidende Zäsur für das FBI, wie für alle US-amerikanischen Geheimdienste, stellte der 11. September 2001 mit den Terrorangriffen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington dar: Auch seitens des FBI hatte es im Vorfeld keinerlei offizielle Warnung gegeben. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß erhob deshalb wenige Monate nach den Ereignissen den Vorwurf, daß das FBI der Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung weitaus mehr Bedeutung beigemessen habe als der Terrorismusabwehr. Das FBI sei daher ungenügend auf die neuen Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus vorbereitet gewesen. Und in einem mehr als 400 Seiten umfassenden Untersuchungsbericht des Justizministeriums, der nach langem Zögern seitens der US-Regierung erst im Jahre 2005 veröffentlicht wurde - und dann auch nur mit zahlreichen Schwärzungen und Auslassungen -, wurde festgestellt, daß es innerhalb des FBI mindestens fünf sehr konkrete Hinweise auf die späteren Attentäter und ihr Vorhaben gegeben habe, die jedoch ausnahmslos alle im bürokratischen Gewirr der Riesenbehörde verlorengegangen seien. Immerhin wurde in der US-amerikanischen Öffentlichkeit auch zur Kenntnis genommen, daß das FBI im Nachgang der Ereignisse vom 11. September offiziell nur wenige Stunden brauchte, um eine komplette Liste mit den Namen aller 19 vorgeblichen Attentäter, einschließlich ihrer Fotos, vorzulegen.

Inzwischen hat das FBI für die sogenannte Terrorismusbekämpfung Kompetenzen und Vollmachten erhalten, von denen die Überwachungsbehörden in Deutschland derzeit noch träumen. Daß der "Krake FBI", wie er von US-amerikanischen Bürgerrechtlern gelegentlich genannt wird, davon sinnvollen und angemessenen Gebrauch macht, muß angesichts der Erfahrungen aus seiner nunmehr hundertjährigen Geschichte heftig bezweifelt werden.

Letzte Änderung: 23. Januar 2020