junge Welt - 16. Juni 2007

Watergate - Nixon geht

Vor 35 Jahren nahm der größte bekanntgewordene politische Skandal der US-Geschichte seinen Anfang

Es war bereits der zweite Einbruch in das Wahlquartier der Demokratischen Partei in Watergate, einem Hotel- und Bürokomplex nur wenige hundert Meter vom Weißen Haus in Washington entfernt. Eine Wanze, die beim ersten Einbruch eingebaut worden war, funktionierte nicht und sollte nun ausgetauscht werden. An diesem 17. Juni 1972 war das Sicherheitspersonal im Hause allerdings wachsam, die fünf Einbrecher wurden von der Polizei gestellt und festgenommen.

Die Ermittlungen verliefen zunächst unspektakulär, doch die Tatsache, daß sich einer der Einbrecher als ehemaliger Mitarbeiter der CIA zu erkennen gab und er Verbindungen zum Komitee für die Wiederwahl des Präsidenten (CREEP) hatte, begründete sehr schnell den Verdacht, daß die Hintermänner des Einbruchs im Weißen Haus zu suchen seien.

Das CREEP war Anfang 1972 gegründet worden, um den Wahlkampf von Richard Nixon, dem 37. Präsidenten der USA (1969-74), für die im November des Jahres anstehenden Präsidentschaftswahlen zu organisieren. Geleitet wurde das Komitee vom vormaligen Justizminister John Mitchell, einem der ganz wenigen persönlichen Freunde und engen Vertrauten Nixons.

Rettungsversuche

Es war vor allem zwei Journalisten der renommierten Washington Post zu verdanken, daß Vorgeschichte und Begleitumstände des Watergate-Einbruchs zum öffentlichen Skandal wurden. Die gründlich recherchierten Berichte von Robert Woodward und Carl Bernstein, die durch den damaligen Vizedirektor der US-Bundespolizei FBI Mark Felt, der als anonyme Quelle »Deep Throat« in die Pressegeschichte einging, unterstützt wurden, hielten das Thema in der Öffentlichkeit und veranlaßten die zuständigen Bundesbehörden, trotz der massiven Versuche der Einflußnahme aus der Umgebung des Präsidenten, die Ermittlungen mit der notwendigen Konsequenz fortzusetzen.

Bereits wenige Wochen nach dem Watergate-Einbruch war daher der Druck auf den CREEP-Vorsitzenden Mitchell so stark geworden, daß er seinen Rücktritt erklären mußte und sich aus der Politik zurückzog: Er war damit, wie sich sehr bald zeigte, das erste Bauernopfer gewesen, dem in den folgenden Wochen und Monaten zahlreiche weitere folgten, um den Präsidenten aus dem Blickfeld der Ermittler zu halten.

Für Mitchell war der Fall mit dem Rücktritt allerdings keineswegs erledigt: Anfang 1975 wurde er wegen seiner Rolle in der Watergate-Affäre vor Gericht gestellt und als bisher einziger US-Justizminister zu einer Haftstrafe verurteilt, die er auch verbüßte. Besonders pikant: Mitchells Ehefrau Martha hatte schon frühzeitig in der Öffentlichkeit über die Verbindungen zwischen dem Watergate-Einbruch, ihrem Mann und dem Weißen Haus gesprochen und war deshalb offiziell für geisteskrank erklärt worden.

Mitte Oktober 1972 gelangte das FBI zu der Schlußfolgerung, daß der Watergate-Einbruch nur ein untergeordnetes Ereignis in einer »weitangelegten Kampagne von politischer Spionage und Sabotage« im Interesse der Wiederwahl des Präsidenten war, wie es die Washington Post in ihrem Bericht formulierte.

Nur vier Wochen später, am 7. November 1972, wurde Richard Nixon mit einem sensationell guten Ergebnis als US-Präsident wiedergewählt: Die Watergate-Affäre hatte den Wahlkampf also kaum beeinflußt. Trotz des fortdauernden Vietnam-Krieges waren es - für US-amerikanische Verhältnisse durchaus ungewöhnlich - vor allem außenpolitische Themen gewesen, die über den Ausgang der Wahl entschieden.

Im Januar 1973 standen die Watergate-Einbrecher vor Gericht. Sie hatten sich mehrheitlich für schuldig erklärt, aber keine weiteren Aussagen gemacht. Das empörte den zuständigen Richter John Sirica, der wegen seiner Neigung, stets die höchstmögliche Strafe zu verhängen, den Spitznamen »Maximum John« trug, in einem solche Maße, daß er Haftstrafen von dreißig Jahren für den Fall androhte, daß die Angeklagten kein Geständnis ablegten. Die Drohung zeigte Wirkung. Die nun folgenden Aussagen belasteten das Komitee für die Wiederwahl des Präsidenten und veranlaßten schließlich den Senat, einen eigenen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der sehr bald auch hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses zur Vernehmung vorlud.

Im Ergebnis der Senatsuntersuchungen mußten am 30. April 1973 der Stabschef des Weißen Hauses Bob Haldeman und der innenpolitische Berater John Ehrlichman, zwei der wichtigsten und einflußreichsten Mitarbeiter von Präsident Nixon, ihren Rücktritt erklären. Wenige Monate später wurden sie zu Haftstrafen verurteilt.

John Dean, der Rechtsberater des Weißen Hauses, wurde von Nixon entlassen, nachdem er sich bereiterklärt hatte, mit dem Senatsausschuß und den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten. Er wurde in den folgenden Wochen und Monaten zu einem Schlüsselzeugen; vor allem seine Aussagen waren es, die den Führungszirkel um den Präsidenten und den Präsidenten selbst schwer belasteten: Mindestens 35mal, so Dean, habe er mit Nixon darüber gesprochen, wie die Hintergründe des Watergate-Einbruchs vertuscht werden könnten.

Streit um Tonbänder

Am 16. Juli 1973 bestätigte ein ehemaliger Mitarbeiter des Weißen Hauses, daß ein Tonbandsystem automatisch alle Gespräche im Oval Office, dem offiziellen Büro des US-Präsidenten, aufzeichnete. Die Vermutung lag also nahe, daß mit Hilfe der Tonbandaufzeichnungen die Frage würde beantwortet werden können, was der Präsident tatsächlich in Zusammenhang mit dem Watergate-Einbruch wußte bzw. möglicherweise sogar selbst angeordnet hatte.

Der Streit um die Tonbänder wurde nun zum eigentlichen Mittelpunkt des Watergate-Skandals: Über Wochen und Monate hinweg war Nixon mit zahllosen politischen und juristischen Tricks bemüht, die Herausgabe der Tonbänder an die Ermittler zu verhindern. Unter Berufung auf angebliche »Erfordernisse der nationalen Sicherheit« wurden zunächst nur redigierte Abschriften veröffentlicht, doch das genügte weder dem ermittelnden Sonderstaatsanwalt noch dem Untersuchungsausschuß des Senats. Und es wurden im Weißen Haus 18,5 Minuten eines besonders brisanten Tonbands angeblich versehentlich gelöscht.

Im US-Kongreß wurden deshalb im Oktober 1973 erstmals Forderungen nach einer Amtsenthebung des Präsidenten laut. Schnell wuchs auch die Zahl der Abgeordneten und Senatoren der Republikanischen Partei, der Partei des Präsidenten also, die Nixon ihre Unterstützung aufkündigten.

Am 24. Juli 1974 entschied das Oberste Gericht der USA, daß der Präsident sämtliche Tonbänder in unveränderter Form herauszugeben habe. Und Ende Juli beschloß der zuständige Parlamentsausschuß, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Nixon wegen Behinderung der Justiz, Amtsmißbrauch und Mißachtung des Kongresses einzuleiten.

Am 9. August 1974 gab Richard Nixon schließlich auf: Er trat als erster und bisher einziger US-Präsident von seinem Amt zurück. Vier Wochen später befand der nunmehrige US-Präsident Gerald Ford, daß sein Amtsvorgänger genug bestraft sei und verkündete eine umfassende Amnestie für Nixon.

Autor: Ronald Friedmann
Ausgedruckt am: 26. April 2024
Quelle: www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2007/watergate-nixon-geht/