junge Welt - 29. September 2007

Sputnik-Schock für USA

Vor fünfzig Jahren leitete die Sowjetunion mit dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten das Zeitalter der Raumfahrt ein

Am 4. Oktober 1957, exakt um 22.28,34 Uhr Moskauer Zeit, hob eine kurzfristig umgebaute interkontinentale Trägerrakete vom Typ R-7 vom sowjetischen Kosmodrom Baikonur, das damals noch Tjura Tam hieß, in Richtung Erdumlaufbahn ab. Die Nutzlast bestand aus einer knapp 84 Kilogramm schweren, hochglänzenden Metallkugel mit einem Durchmesser von gerademal 58 Zentimeter. Vier scheinbar nach hinten gerichtete Antennen gaben dem vorwiegend aus Aluminium gefertigten Artefakt das unverwechselbare Aussehen, das bis heute in zahllosen Kopien und Nachbildungen in technischen Museen in aller Welt bewahrt wird: Sputnik-1.

Der Start der Trägerrakete hatte fehlerfrei funktioniert, doch nach nur 16 Sekunden Flugdauer gab es ein Problem, das das gesamte Unternehmen gefährdete: Ein Steuerungsmechanismus fiel aus, der den gleichmäßigen Zufluß des Treibstoffs in die Brennkammern regeln sollte. Durch diese Störung war der Treibstoffverbrauch zu hoch, die Triebwerke schalteten deutlich früher ab als geplant. Doch nach 324 Sekunden Flugzeit erreichte Sputnik-1 die Erdumlaufbahn, wenn auch in einer um zirka 80 Kilometer geringeren Höhe als ursprünglich vorgesehen. Am Startplatz herrschte grenzenloser Jubel, Sergej Koroljow allerdings, der »Vater der sowjetischen Raumfahrt«, der das Projekt des künstlichen Erdsatelliten mit nicht nachlassender Energie gegen zahllose Widerstände durchgesetzt und realisiert hatte, bremste die Euphorie: Er wollte zunächst die erste Erdumrundung abwarten, um sicherzugehen, daß sich Sputnik-1 tatsächlich in einer Erdumlaufbahn befand. Aber seine Skepsis war unbegründet, nach 90 Minuten bangen Wartens tauchte Sputnik-1 wieder über dem Startgelände auf.

Nicht unerwartet ...

In den frühen Morgenstunden des 5. Oktober 1957 gab die sowjetische Nachrichtenagentur TASS schließlich den Start des ersten künstlichen Erdsatelliten bekannt. Und TASS bestätigte die bereits im Juni 1957 erstmals veröffentlichten Funkfrequenzen, auf denen das Signal des Sputniks zu hören war.

Innerhalb kürzester Zeit saßen nun professionelle und Amateurfunker in aller Welt an ihren Kurzwellengeräten, um das Signal aus dem Orbit aufzufangen. In Westeuropa waren es die Mitarbeiter der Volkssternwarte in Bochum, die als erste das inzwischen legendäre »Piep-Piep« von Sputnik-1 vernahmen und damit bestätigten, daß der Flug des neuen Himmelskörpers erfolgreich verlief.

In den USA löste die Nachricht vom Start des Sputniks einen regelrechten Schock aus, obwohl das Ereignis keineswegs so unerwartet eingetreten war, wie viele Berichterstatter in den US-amerikanischen Medien nun glauben machen wollten: Ähnlich wie die Vereinigten Staaten hatte auch die Sowjetunion bereits im Sommer 1955 angekündigt, im Rahmen des international vereinbarten Geophysikalischen Jahres, das von 67 Staaten im Zeitraum vom 1. Juli 1957 bis zum 31. Dezember 1958 realisiert werden sollte, einen Satelliten in eine Erdumlaufbahn zu schicken. In den USA allerdings war das von Präsident Dwight D. Eisenhower präferierte Vanguard-Projekt der Navy nicht wirklich vorangekommen - ein öffentlichkeitswirksam inszenierter erster Startversuch im Dezember 1957 endete mit einem spektakulären Desaster. Vor allem jedoch war es die Erkenntnis, daß das Territorium der USA nun plötzlich mit nuklearen Waffen angegriffen werden konnte, die die veröffentlichte Meinung in den USA und Westeuropa im Hinblick auf Sputnik-1 bestimmte. Der Senator und spätere US-Präsident Lyndon B. Johnson verstieg sich sogar zu der Behauptung: »Schon bald werden die Russen Bomben aus dem Weltall auf uns werfen wie Kinder, die Steine von Autobahnbrücken auf Autos fallenlassen.«

Die Moskauer Führung um Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow hatte das propagandistische Potential des Sputnik allerdings zunächst überhaupt nicht erkannt. Im Gegenteil: Sergej Koroljow hatte die Genehmigung zum Start des künstlichen Erdsatelliten nur erhalten, weil es bei seinem eigentlichen Projekt, dem Bau eines interkontinentalen Trägersystems zum Transport einer Wasserstoffbombe, zu Verzögerungen gekommen war. Zwar waren bei einem Test im August 1957 Start und Flug der Trägerrakete erfolgreich verlaufen, doch war die mitgeführte Nutzlast, die Attrappe eines Gefechtskopfes, beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre so stark beschädigt worden, daß weitere Entwicklungsarbeiten erforderlich wurden. Erst die hysterische Reaktion in den USA und der übrigen westlichen Welt auf den Flug des Sputnik veranlaßte die Kremlführung, von Koroljow in den folgenden Jahren immer weitere »kosmische« Erstleistungen zu fordern, um so die vorgebliche wissenschaftlich-technische Überlegenheit der Sowjetunion gegenüber den USA demonstrieren zu können.

... aber folgenreich

Bereits vier Wochen nach Sputnik-1 folgte daher im November 1957, pünktlich zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution, der Start von Sputnik-2, diesmal mit einem Lebewesen, der Hündin Laika, an Bord. Im Januar 1959 passierte Lunik-1 in nur 6000 Kilometern Entfernung den Mond, im September 1959 schlug Lunik-2 als erstes von Menschenhand geschaffenes Objekt auf dem Erdtrabanten auf. Lunik-3 lieferte im Oktober 1959 die ersten Fotos von der Rückseite des Mondes. Im April 1961 flog Juri Gagarin mit Wostok-1 als erster Mensch in den Weltraum, im Juni 1963 war Walentina Tereschkowa an Bord von Wostok-6 die erste Frau, die einen Weltraumflug unternahm. Und im Oktober 1964 folgte die erste mehrköpfige Besatzung eines Raumschiffes.

Doch ein in sich geschlossenes wissenschaftliches Programm der unbemannten und bemannten Weltraumforschung gab es in der Sowjetunion bis weit in die sechziger Jahre hinein nicht. Es gab nicht einmal eine zentrale Behörde, die die Aktivitäten der zahlreichen Einrichtungen der Weltraumforschung koordinierte. Deutlich wurde das insbesondere bei den beiden parallelen Programmen für einen bemannten Mondflug: Konkurrierende Entwicklungsbüros stritten um die knappen finanziellen und technischen Ressourcen, statt gemeinsam das ehrgeizige Ziel anzugehen. Erstaunlich bis heute für ein Land, das der Planwirtschaft in jeder anderen Beziehung den ausschließlichen Vorrang gegeben hatte.

Anders in den USA: Dort wurde 1958 die NASA, die Bundesbehörde für Luft- und Raumfahrt, gegründet und mit allen Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet, um den tatsächlichen oder vermeintlichen Rückstand der USA gegenüber der Sowjetunion in der Entwicklung der Weltraumtechnologie nicht nur aufzuholen, sondern um selbst neue Maßstäbe zu setzen. Das Apollo-Programm für den bemannten Mondflug schließlich, von US-Präsident John F. Kennedy im April 1961, wenige Tage nach dem Weltraumflug von Juri Gagarin, in einer spektakulären Rede verkündet, mobilisierte nicht nur die unmittelbar für die Raumfahrt notwendigen Kapazitäten, sondern es gab entscheidende Anstöße für eine tatsächliche wissenschaftlich-technische Revolution, wie sie beispielsweise in der Entwicklung der Computertechnik deutlich wurde. Natürlich war es kein Zufall, daß es vor allem die großen Rüstungsunternehmen der USA waren, die die Aufträge für den Mondflug erhielten und auf diese Weise auch die Forschung für neue Rüstungsvorhaben finanzieren konnten.

Die Landung von Neil Armstrong und Edwin Aldrin auf dem Mond im Juli 1969 wirkte in der Sowjetunion in gewisser Weise wie ein umgekehrter Sputnik-Schock. Die sowjetischen Weltraumpioniere besannen sich auf ihre eigentlichen Stärken, beendeten stillschweigend das desaströse und erfolglose Mondflugprogramm und begannen ein Programm von Raumstationen in der Erdumlaufbahn, für die noch heute die Namen Salut und Mir stehen und dessen Ergebnisse jetzt der ISS, der Internationalen Raumstation, zugute kommen.

Sputnik-1 verstummte Ende Oktober 1957, nach etwas mehr als drei Wochen in der Erdumlaufbahn. Die Energie der mitgeführten Batterien war verbraucht. Und am 4. Januar 1958, nach 1.140 Erdumläufen, verglühte der erste künstliche Himmelskörper in den oberen Schichten der Erdatmosphäre. Doch die Impulse, die er auslöste, wirken bis heute und beflügeln die Phantasie der Menschen.

Autor: Ronald Friedmann
Ausgedruckt am: 16. April 2024
Quelle: www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2007/sputnik-schock-fuer-usa/