Disput - September 2007

Der Sputnik-Schock

Vor fünfzig Jahren wurde in der Sowjetunion der erste künstliche Erdsatellit gestartet

Am 4. Oktober 1957, um 22.28 Uhr Moskauer Zeit, hob die umgebaute Interkontinentalrakete R-7 mit Sputnik-1 an der Spitze vom Kosmodrom Baikonur, das damals noch Tjura Tam hieß, in Richtung Erdumlaufbahn ab. Zwar gab es einige technische Probleme - nach nur sechzehn Sekunden Flugzeit fiel ein Kontrollmechanismus aus, der für die gleichmäßige Leerung der Kraftstofftanks sorgen sollte, und die letzte Brennstufe schaltete einige Sekunden zu früh ab, so daß der erreichte Orbit etwa 80 Kilometer niedriger lag als vorgesehen. Doch das ehrgeizige Vorhaben der sowjetischen Wissenschaftler und Techniker um Sergej Kowaljow, dem »Vater der sowjetischen Raumfahrt«, wurde verwirklicht: Nach genau 324 Sekunden Flugzeit war der erste künstliche Satellit in der Erdumlaufbahn angekommen.

In den frühen Morgenstunden des 5. Oktober gab die sowjetische Nachrichtenagentur TASS den Start bekannt. Und TASS bestätigte die bereits im Juni (!) 1957 offiziell mitgeteilten Frequenzen, auf denen die Funksignale von Sputnik-1 empfangen werden konnten. Wenige Minuten später saßen professionelle und Amateurfunker in aller Welt an ihren Geräten und lauschten auf das Piep-Piep, das von einem ständig wechselnden Ort abgestrahlt wurde. In Westeuropa waren es die Mitarbeiter der Volkssternwarte Bochum, die als erste die Signale von Sputnik-1 empfingen und so bestätigen konnten, daß sich Sputnik-1 tatsächlich in einer Erdumlaufbahn befand.

Bald darauf wurde auch das erste Bild veröffentlicht: Sputnik-1 war eine hochglänzende Metallkugel mit einem Durchmesser von 58 Zentimetern und einer Masse von 83,6 Kilogramm. Vier scheinbar nach hinten ausgerichtete Antennen gaben ihm das typische Aussehen, das auch nach einem halben Jahrhundert noch unverwechselbar ist und das sich in zahllosen Nachbildungen in Museen und wissenschaftlich-technischen Expositionen in aller Welt wiederfindet.

Wissenschaftliche Geräte hatte Sputnik-1 nicht an Bord. Allerdings gehörte ein Thermometer mit einer Einrichtung zur Datenübertragung zur Ausrüstung: Wäre Sputnik-1 von einem Mikrometeoriten getroffen worden, was aber nicht der Fall war, hätte das zu einem Druckabfall in der mit Stickstoff gefüllten Hülle und damit zu einem sofortigen Absinken der Temperatur geführt. Mehr als drei Wochen reichte die Energie der mitgeführten Batterien, dann verstummte Sputnik-1. Am 4. Januar 1958, nach 1.140 Erdumläufen, verglühte der erste künstliche Himmelskörper schließlich in den oberen Schichten der Erdatmosphäre.

In der Sowjetunion und den übrigen sozialistischen Staaten wurde der Start von Sputnik-1 erwartungsgemäß mit großem Jubel aufgenommen. Im Westen und insbesondere in den USA war man deutlich zurückhaltender: Es galt, eine unerwartete Niederlage auf wissenschaftlich-technischem Gebiet zu verkraften, denn trotz zahlreicher vollmundiger Ankündigungen war man in den USA mit dem Projekt Vanguard zum Start eines eigenen Satelliten nicht wirklich vorangekommen. Vor allem jedoch bestätigte der Flug von Sputnik-1, dass die Sowjetunion nun über eine auch militärisch nutzbare Trägerrakete verfügte, durch die auch das Territorium der USA in die Reichweite nuklearer Waffen geriet. Das Wort vom Sputnik-Schock machte die Runde, und die USA legten verschiedene neue Programme auf, um den tatsächlichen oder vermeintlichen Rückstand bei der Entwicklung der Weltraumtechnik aufzuholen.

In den folgenden Jahren gelangen der Sowjetunion noch zahlreiche weitere spektakuläre Erstleistungen, deren wissenschaftlicher Wert allerdings in der Mehrzahl der Fälle hinter dem propagandistischen Effekt deutlich zurückblieb: Im November 1957 flog an Bord von Sputnik-2 erstmals ein Lebewesen in das All, die Hündin Laika. Im Januar 1959 passierte Lunik-1 in nur 6.000 Kilometer Entfernung den Mond, im September 1959 schlug Lunik-2 als erstes von Menschenhand geschaffenes Objekt auf dem Erdtrabanten auf. Lunik-3 lieferte im Oktober 1959 die ersten Fotos von der Rückseite des Mondes. Im April 1961 flog Juri Gagarin mit Wostok-1 als erster Mensch in den Weltraum, im Juni 1963 war Valentina Tereschkowa an Bord von Wostok-6 die erste Frau, die einen Weltraumflug unternahm. Und im Oktober 1964 folgte die erste mehrköpfige Besatzung eines Raumschiffes.

Ein wirkliches wissenschaftliches Konzept für die bemannte und unbemannte Weltraumforschung gab es allerdings bis weit in die sechziger Jahre hinein nicht, im Gegenteil: Zwei streng geheime, parallel arbeitende Projekte für einen sowjetischen bemannten Mondflug, der nie stattfand, verschlangen riesige Ressourcen, die an anderer Stelle fehlten. Die US-amerikanische Mondlandung im Juli 1969 wirkte in gewisser Weise wie ein umgekehrter Sputnik-Schock: Die sowjetischen Weltraumpioniere besannen sich auf ihre eigentlichen Stärken und begannen ein Programm von Raumstationen in der Erdumlaufbahn, für die noch heute die Namen Salut und Mir stehen und dessen Ergebnisse heute der ISS, der Internationalen Raumstation, zugute kommen.

Autor: Ronald Friedmann
Ausgedruckt am: 26. April 2024
Quelle: www.ronald-friedmann.de/ausgewaehlte-artikel/2007/der-sputnik-schock/