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Ausgewählte Artikel - 2006 und früher
Neues Deutschland - 7. Oktober 1996

Raubgold: Rattenlinie nach Südamerika

Hinweise auf Beteiligung Argentiniens an den Goldgeschäften der Nazis

Seit Wochen werden von der internationalen Öffentlichkeit die verschiedenen Aspekte der Zusammenarbeit der Schweiz und insbesondere der Schweizer Banken mit den Machthabern des Dritten Reichs diskutiert. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Frage nach dem Verbleib des Reichsbank-Goldes, das zu einem sehr großen Teil aus den geraubten Goldreserven der von Hitlerdeutschland überfallenen Länder stammte, vor allem aber aus dem persönlichen Eigentum der ungezählten Opfer des Holocaust, bis hin zu dem Zahngold, das man den Ermordeten aus dem Körper riß. Doch nicht nur in die Schweiz, sondern auch in verschiedene lateinamerikanische Länder führt die blutige Spur des Goldes.

Denn es erscheint inzwischen als erwiesen, daß ein nicht unbedeutender Teil dieses Goldes benutzt wurde, um nach Ende des Krieges, bis weit in die fünfziger Jahre hinein, die "Rattenlinie" zu finanzieren, also jene Fluchtroute, auf der mit Hilfe von zahlreichen Fluchthilfeorganisationen wie zum Beispiel der ODESSA, der "Organisation ehemaliger SS-Angehöriger", ungezählte kleine und große Kriegsverbrecher von Deutschland, über Österreich und Italien, nach Lateinamerika entkamen. Schon Monate vor dem Kriegsende war seitens der Führungskreise des Dritten Reiches begonnen worden, Voraussetzungen für ein Überleben nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes zu schaffen. Millionen-Beträge gefälschter Britischer Pfund-Noten, von KZ-Häftlingen im Rahmen der Aktion "Bernhard" im Lager Sachsenhausen produziert, wurden ebenso bereitgestellt wie Zehntausende Ausweise und andere Dokumente, die ihren Besitzern eine neue Identität verschaffen sollten. In den Seen des österreichischen Salzkammerguts, das Hitler im Wissen um die bevorstehende Niederlage zur "Alpenfestung" machen wollte, wurden von Kommandos der SS im März und April 1945 zahllose Kisten mit Waffen, Falschgeld, Dokumenten, Beutegut usw. versenkt, die als streng geheime Reserve für die Nachkriegszeit gedacht waren. Damit standen ausreichende Mittel zur Verfügung, um die Helfer entlang der Fluchtstrecke, die Schiffspassagen und die Gebühren für Transit- und Einreisevisa, bei deren Vermittlung die katholische Amtskirche und insbesondere der Vatikan selbst eine unrühmliche Rolle spielten, zu bezahlen. Und natürlich wird es zum Teil nicht unbeträchtliche Zahlungen an die flüchtenden Kriegsverbrecher selbst gegeben haben, denen der Neubeginn in Lateinamerika erleichtert werden sollte. (Allerdings müssen diese Zahlungen sehr ungleichmäßig verteilt gewesen sein, denn Adolf Eichmann, der ebenfalls über die "Rattenlinie" nach Argentinien gelangte, lebte bei seiner Gefangennahme 1960 in äußerst bescheidenen Verhältnissen. Deshalb hatte der israelische Geheimdienst einen bereits 1958 eingegangenen Hinweis auf den Aufenthaltsort Eichmanns zunächst ignoriert, weil niemand sich vorstellen konnte, daß ein ehemaliger hochrangiger SS-Offizier in solcher Armut leben würde.)

Wichtigstes lateinamerikanisches Aufnahmeland für die flüchtenden Naziverbrecher war Argentinien, dessen Diktatur Juan Perón anfangs unverhohlen Sympathie für das Hitler-regime gezeigt hatte, sich dann aber 1943 aus sehr pragmatischen Erwägungen heraus der Anti-Hitler-Koalition angeschlossen hatte. So ist es möglich und wahrscheinlich, daß Gold aus den Beständen der Reichsbank nach Kriegsende eine Art Eintrittsgeld nach Argentinien war. Es überrascht daher nicht, daß Argentiniens Präsident Carlos Menem Mitte September angesichts der Diskussion um die Rolle der Schweiz nun endlich die Bereitschaft seiner Regierung erklärte, alle Archive der argentinischen Nationalbank zu öffnen, um festzustellen, ob von den Nazis geraubtes Gold nach Argentinien gelangte. Ruben Beraja, Oberhaupt der 250.000 Mitglieder zählende jüdischen Gemeinde Argentiniens, hatte Menem in einem Gespräch darauf hingewiesen, daß es in Archiven der USA eindeutige Hinweise auf eine argentinische Beteiligung an den Goldgeschäften des Hitlerregimes und der faschistischen Fluchthilfeorganisationen gibt.

Inzwischen gibt es auch die Vermutung, daß zumindest Teile des zunächst nach Argentinien verbrachten Goldes ab Mitte der fünfziger Jahre nach Paraguay gelangten: Der Sturz Perons im Jahre 1955 hatte bei vielen in Argentinien lebenden deutschen Naziverbrechern die Sorge aufkommen lassen, daß ihr Exilland nunmehr etwas weniger sicher sein könnte. Und auch die Gefangennahme Eichmanns durch eine israelische Spezialeinheit in Buenos Aires im Mai 1960 verstärkte fraglos dieses Gefühl. Eine große Zahl von Exilanten wechselte deshalb nach Paraguay, wo Alfredo Stroessner inzwischen ein faschistoides Regime etabliert hatte. Stroessner selbst soll große Mengen Gold als Gegenleistung für ein sicheres Asyl entgegengenommen und in eigenen Safes in den Räumen der paraguayischen Staatsbank verwahrt haben. Wo das Gold nach dem Sturz Stroessners im Februar 1989 verblieben ist, ist bisher nicht bekannt. Stroessner selbst, der noch heute sicher im brasilianischen Exil lebt, verweigert, kaum überraschend, jede Auskunft.

Letzte Änderung: 25. November 2012