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Ausgewählte Artikel - 2006 und früher
Disput - November 2006

Die Zentrale

Seit 80 Jahren gibt es das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin

Seit 1920 hatte die KPD, die Kommunistische Partei Deutschlands, ihren Sitz in der Berliner Rosenthaler Straße 38, doch spätestens Mitte der zwanziger Jahre war das Haus für die Erfordernisse der Parteiarbeit hoffnungslos zu klein geworden. Die KPD, inzwischen mit zeitweise weit über hunderttausend Mitgliedern zur Massenpartei geworden, brauchte für ihre Führungsorgane und den für die politisch-organisatorische Arbeit unverzichtbaren Apparat buchstäblich mehr Platz. Eine Lösung war schnell gefunden: Im proletarischen Osten der deutschen Hauptstadt, nur wenige hundert Meter vom Alexanderplatz entfernt, stand in der Kleinen Alexanderstraße 28 ein Büro- und Geschäftshaus zum Verkauf. Die Firma Bürohaus Vulkan GmbH, von der KPD ursprünglich zur "Verwaltung und Verwertung des Grundstücks Rosenthaler Straße 38" gegründet, wie der "Gegenstand des Unternehmens" im Berliner Handelsregister amtlich beschrieben wurde, erhielt den Auftrag, das Gebäude für die Partei zu erwerben. Am 30. Juli 1926 wurde der Kaufvertrag unterzeichnet, der Kaufpreis betrug 350.000 Reichsmark. Verkäufer war die Berliner Likörfabrik AG in Liquidation, die ihrerseits das Gebäude erst im März 1923 von dem Kaufmann Rudolph Werth erworben hatte.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts befand sich in der Gegend um den heutigen Rosa-Luxemburg-Platz, an dessen Rand das Karl-Liebknecht-Haus steht, das berühmte Scheunenviertel. Seine Entstehung Ende des 17. Jahrhunderts hatte es den Brandschutzbestimmungen der Residenzstadt Berlin zu verdanken: Da brennbare Materialien wie Holz oder Stroh innerhalb des Stadtgebietes nur in kleinen Mengen gelagert werden durften, wurden zu diesem Zweck knapp außerhalb der Stadtgrenze zahlreiche Scheunen errichtet. Das Scheunenviertel entstand, und es blieb zunächst auch erhalten, als Berlin sich in den sogenannten Gründerjahren ab 1870 in alle Himmelsrichtungen auszudehnen begann.

1899 wurde ein modernes städtebauliches Konzept für das Areal entwickelt, durch das inzwischen die Ausfallstraße von der Berliner Stadtmitte mit dem Schloss in Richtung Nordosten, nach Pankow und Weißensee, führte. Bis 1906 wurde das Scheunenviertel abgerissen, die U-Bahn wurde gebaut, und es entstand der spätere Bülowplatz, der zunächst noch Babelsberger Platz hieß.

Das erste Gebäude, das an diesem neuen Platz errichtet wurde, war das spätere Karl-Liebknecht-Haus auf einem annähernd dreieckigen Grundstück entlang der Kleinen Alexanderstraße, der Weydinger Straße und der Bartelstraße. Es war von Anfang an als Büro- und Fabrikgebäude konzipiert worden, so dass die tragende Konstruktion außerordentlich stabil war. Das machte es möglich, noch in den oberen Stockwerken vergleichsweise große und entsprechend schwere Maschinen aufzustellen. Zu den ersten Mietern in dem Gebäude gehörte im Jahre 1913 die Maschinenfabrik Caspar & Ziegler GmbH. Auf Fotos aus dem Jahre 1925 finden sich Hinweise auf die Wäschefabrik Oswald & Isaak, die Werkzeug- und Maschinenfabrik Hommel und natürlich die Berliner Türschließerfabrik von Rudolph Werth, der ein Dutzend Jahre zuvor der Bauherr und erste Eigentümer des Gebäudes gewesen war.

Trotz des dringenden Platzbedarfes konnte die KPD das neuerworbene Haus in der Kleinen Alexanderstraße 28 nicht sofort nutzen - zunächst waren umfangreiche Umbauten erforderlich, um es den Erfordernissen als Sitz der Parteizentrale anzupassen. Diese Arbeiten zogen sich mehr als anderthalb Jahre hin, bis hinein in das Jahr 1928. Die ersten Büroräume wurden allerdings schrittweise bereits ab Herbst 1926 bezogen.

Aus diesem Grunde gab es, soweit bekannt und zu vermuten, auch keine offizielle Einweihung des Karl-Liebknecht-Hauses, ja, es ließ sich nicht einmal mehr feststellen, wann genau eigentlich der Beschluss gefasst wurde, den neuen Sitz der Parteizentrale "Karl-Liebknecht-Haus" zu nennen. Es ist anzunehmen, dass sich das Zentralkomitee der KPD im ersten Halbjahr 1926 mit dem Kauf des Hauses in der Kleinen Alexanderstraße 28 befasste und dass bei dieser Gelegenheit auch die Entscheidung über den Namen des Hauses fiel. Doch wurde ein solcher Beschluss bisher in den Archiven nicht gefunden.

Über die Nutzung des Karl-Liebknecht-Hauses und speziell die Raumaufteilung in den Jahren bis 1933 gibt es verschiedene Berichte, die entweder im ehemaligen Parteiarchiv der SED aufbewahrt werden - jetzt im Bestand der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv - oder die in Büchern und Aufsätzen zu finden sind, die sich im engeren oder weiteren Sinne mit der Geschichte der KPD in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren befassen. Eine systematische Übersicht über alle einschlägigen Berichte von Zeitzeugen gibt es allerdings nicht. Überraschende Funde von spektakulären Berichten mit weiteren sensationellen Einzelheiten sind also immer noch möglich, wenn auch keineswegs wahrscheinlich.

Im Erdgeschoss, dort, wo sich heute das Konsultations- und Informationszentrum der Linkspartei befindet, gab es bis 1933 eine Buchhandlung, die sich, wenig überraschend, auf linke Literatur spezialisiert hatte. Die übrigen Räume des Erdgeschosses wurden von der Druckerei und der Expedition der "Roten Fahne" genutzt, der Tageszeitung der KPD. Der heutige Haupteingang in der Kleinen Alexanderstraße war eine Tordurchfahrt zum Hof. Durch sie wurden die tonnenschweren Papierrollen für die Druckerei angeliefert und die fertigen Zeitungen abgeholt.

Ungefähr dort, wo heute im Konferenzraum I der Parteivorstand seine Beratungen durchführt und wo die Pressekonferenzen der Linkspartei stattfinden, stand Ende der zwanziger Jahre eine sogenannte Sechsrollen-Rotationsdruckmaschine; sie war so groß, dass sie auf einem besonders starken Fundament im Keller aufgestellt werden musste. Durch zwei Deckendurchbrüche reichte sie bis in den ersten Stock. Mit dieser Druckmaschine konnten 96 Zeitungsseiten in einem Arbeitsgang gedruckt werden. Es handelte sich um die modernste Druckmaschine, über die eine parteieigene Druckerei zu dieser Zeit in Deutschland verfügte.

Den gesamten ersten Stock nahm die City-Druckerei ein, ein weiteres parteieigenes Unternehmen der KPD. Redaktion und Verlag der "Roten Fahne" befanden sich im zweiten Stock.

Die Bezirksleitung der KPD Berlin-Brandenburg-Lausitz, die zuvor in der Münzstraße 23 unter sehr beengten Bedingungen ihren Sitz gehabt hatte, verfügte nun über die Räume im dritten Stock des Karl-Liebknecht-Hauses. Das Zentralkomitee der KPD und sein Apparat nutzten einige wenige Räume im dritten Stock und den gesamten vierten Stock.

Das Arbeitszimmer von Ernst Thälmann, dem Vorsitzenden der KPD, befand sich in einem Teil des Gebäudes, das heute in seiner ursprünglichen Form nicht mehr existiert, und zwar an der Bartelstraße, im dritten Stock. Wenige Meter entfernt, ebenfalls an der Bartelstraße, befand sich ein größerer Beratungsraum, der unter anderem vom Zentralkomitee, das in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre etwa vierzig Mitglieder hatte, für seine Tagungen genutzt wurde.

Zwischen den Räumen der "Roten Fahne" im zweiten Stock und den Räumen des ZK im dritten Stock befand sich eine Wendeltreppe mit einer ständig abgeschlossenen Gittertür, für die sich im Falle einer polizeilichen Durchsuchung "zufälligerweise" nie ein Schlüssel finden ließ. Mit dieser Gittertür ist auch mindestens eine wirkliche Liebesgeschichte verbunden: Es wird berichtet, dass eine Mitarbeiterin des ZK Ende der zwanziger oder Anfang der dreißiger Jahre durch diese Gittertür ihren späteren Ehemann, der Mitarbeiter bei der "Roten Fahne" war, mit selbstgepflückten Himbeeren "fütterte", der Beginn einer jahrzehntelangen Beziehung, die die dunklen Jahre der Nazizeit überdauerte.

Im ausgebauten Dachgeschoss des Karl-Liebknecht-Hauses hatte unter anderem die Redaktion der Jugendzeitung "Junge Garde" ihr Domizil. Außerdem gab es dort einen großen Atelierraum für Maler und Grafiker, die hier viele der bis heute berühmten Plakate der KPD aus den späten zwanziger Jahren entwarfen. In einigen der Mansardenräume waren bescheidene Übernachtungsmöglichkeiten für auswärtige Besucher geschaffen worden.

Polizeiliche Durchsuchungen des Karl-Liebknecht-Hauses waren gegen Ende der Weimarer Republik beinahe an der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang hatte der Fahrstuhl eine wichtige Funktion. Es handelte sich um einen sogenannten Lastenfahrstuhl, wie er für Fabrikgebäude üblich war und ist, wesentlich größer als der heutige Personenaufzug, mit dem höchstens sechs Personen gleichzeitig transportiert werden können. Tauchte die Polizei vor dem Karl-Liebknecht-Haus auf, betätigte der Pförtner umgehend einen speziellen Klingelknopf, der in der Druckerei, von den Mitarbeitern des Karl-Liebknecht-Hauses für gewöhnlich "Nudelei" genannt, ein Alarmsignal auslöste. Von einem versteckten Schaltkasten in der Druckerei wurde sofort der Fahrstuhl abgeschaltet. Die Polizei musste nun die Treppen benutzen, was Kraft und vor allem Zeit kostete, die von den Mitarbeitern im Karl-Liebknecht-Haus genutzt werden konnte, um kompromittierende Unterlagen, aber auch und vor allem polizeilich gesuchte Genossen in vorbereiteten Verstecken rechtzeitig "verschwinden" zu lassen. Denn es gab nicht nur den Klingelknopf für den Fahrstuhl, sondern ein ganzes System von Klingelleitungen, das die Pförtnerloge mit den wichtigsten Räumen des Hauses verband.

Für die bedeutsamsten Akten des Parteiarchivs existierte ein ganz besonderes Versteck - die doppelte Rückwand und der doppelte Boden des Fahrstuhls. Als die Polizei nach einigen mehr oder weniger vergeblichen "Fußmärschen" durch das Karl-Liebknecht-Haus Anfang der dreißiger Jahre dann doch in Erfahrung gebracht hatte, wo der Fahrstuhl wieder einzuschalten war, geschah es häufig, dass die ahnungslosen Ordnungshüter buchstäblich mit den so dringend gesuchten Unterlagen auf- und abfuhren, ohne auch nur zu ahnen, welche Schätze sich buchstäblich nur wenige Zentimeter von ihnen entfernt befanden.

Es gab also im Karl-Liebknecht-Haus einzelne geheime Verstecke, aber die seit der Weimarer Zeit von der bürgerlichen Presse systematisch verbreiteten Schauermärchen von einem ganzen System geheimer Gänge und verborgener Räume, die das Karl-Liebknecht-Haus angeblich zu einer regelrechten Festung gemacht hätten, waren reine Erfindung. Tatsächlich führte beispielsweise von dem Raum, in dem ab 1931 der Parteiselbstschutz der KPD untergebracht war, eine Einstiegsluke in einen wenig auffälligen Kellerraum. Doch dieser Kellerraum diente ausschließlich als Lager für Bücher, Flugblätter und andere Druckschriften. Denn es wäre töricht gewesen, diesen Raum anders zu nutzen: Es gab keinen zweiten Zu- oder Ausgang, dieser Raum wäre eine wirkliche Falle gewesen.

Auch Waffenlager gab es im Karl-Liebknecht-Haus nicht. Zwar verfügte der Parteiselbstschutz der KPD über Waffen, doch diese wurden, wie verschiedene Berichte von Zeitzeugen unabhängig voneinander bestätigen, in den Kleingärten von besonders zuverlässigen Genossen aufbewahrt - in Ölpapier eingewickelt und in Kisten verpackt, die dann tief vergraben wurden. Der politische Schaden wäre viel zu groß gewesen, wären bei einer Durchsuchung tatsächlich Waffen im Karl-Liebknecht-Haus gefunden worden.

Am 23. Februar 1933, wenige Tage vor dem Reichstagsbrand, besetzte und durchsuchte die Polizei das Karl-Liebknecht-Haus. Am darauffolgenden Tag wurde es auf polizeiliche Anordnung geschlossen. Drei Wochen später, am 12. März 1933, wurde die Bürohaus Vulkan GmbH zur "Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Abwehr auch in Zukunft zu erwartender kommunistischer Umtriebe" enteignet. Das nun ehemalige Karl-Liebknecht-Haus wurde zunächst dem Preußischen Staat und dann der SA zur Nutzung übergeben. Kurz vor Kriegsende wurde es nahezu vollständig zerstört. Doch das ist schon eine andere Geschichte.

Letzte Änderung: 5. Januar 2017